Von Sabrina Miseriaud.
Als vor einigen Tagen das alljährliche Weihnachtsbaumschmücken in der Deutschen Botschaft anstand, durfte ich den Kindern der ersten Klassen der iDSB die Wartezeit auf den Nikolaus mit einer halben Stunde Vorlesen verkürzen. Da ich sehr gern vorlese, freute ich mich auf diese Gelegenheit – sah ihr aber auch mit Unsicherheit entgegen. Schaffe ich es, eine große Gruppe von Kindern lange genug zu fesseln? Man liest doch so oft von der immer kürzer werdenden Aufmerksamkeitsspanne der sog. Net-Generation.
Die Begeisterung der Kinder zerstreute meine Bedenken schnell, und warf für mich die Frage auf, ob Lesen bei Kindern und Jugendlichen wirklich „out“ ist.
Am selben Morgen war ich zum ersten Mal als Jurymitglied beim Vorlesewettbewerb der fünften und sechsten Klassen an der Deutschen Schule gewesen. Die Bandbreite der vorgestellten Bücher und der Enthusiasmus der Vorleser und Zuhörer sprachen eindeutig gegen ein Desinteresse der Kinder an Literatur. Und es waren beileibe nicht ausschließlich dünne Bücher, die die Schüler ausgewählt hatten. Lesen Kinder und Jugendliche heutzutage also doch noch Texte, die mehr als 140 Zeichen umfassen?
Erfolgreiche Lesekiste
Der Erfolg der Lesekiste (eine von vielen Maßnahmen zur Leseförderung, die von Silke Grammatikos an unserer Schule angestoßen wurden) spricht für sich. Zweimal im Jahr stellt Frau Grammatikos in den Klassen eine Auswahl verschiedenster Bücher vor. Kaum hat sie das Klassenzimmer verlassen, stürzen die ersten Schüler in die Bücherei, um sich die von ihr aus dem Berg der Neuerscheinungen ausgewählten Werke zu sichern. Die Enttäuschung ist groß, wenn das gewünschte Buch bereits verliehen ist und die Liste der Vormerkungen ist dementsprechend lang.
Eine Gruppe von Mädchen trifft sich regelmäßig zum gemeinsamen Lesen in der Bibliothek. Liegt das am Handyverbot in der Schule oder haben sie tatsächlich Spaß daran, sich gegenseitig vorzulesen?
Ein Samstag in der deutschen Kinder- und Jugendbuchhandlung Buchfink in Sterrebeek zeigte mir weitere Beispiele der Lesebegeisterung der „heutigen Jugend“. Während Frau Grammatikos, die als Lese- und Literaturpädagogin bestens gerüstet ist, für jeden das richtige Buch zu finden (und deren Liebe zu Kinder- und Jugendbüchern in ihrem kleinen Buchladen nachgerade greifbar ist), beschäftigt war, mit Eltern das passende Buch für ihren Nachwuchs auszuwählen, hatte ich Gelegenheit, mit einigen Jugendlichen zu diskutieren. Sobald sie sahen, dass wir lesetechnisch auf einer Wellenlänge schwammen, sprudelten die Lesetipps geradezu aus ihnen heraus. „Haben Sie das schon gelesen? Ist so ähnlich wie… – aber viel besser geschrieben!“
Karriere als Schriftsteller
Auch die Reaktionen der Schüler auf Autorenlesungen an der iDSB lassen mich glauben, dass Lesen auch in Zeiten von Konsolen und Smartphones immer noch aktuell ist. Die Kleinen hält es kaum auf ihren Plätzen, wenn sie Martin Baltscheit oder Jörg Hilbert doch so dringend erzählen müssen, welche Geschichten sie schon kennen. Und die Großen fragen Tamara Bach nach Tipps, wie sie selbst Autoren werden können.
An unserer Schule wird eben nicht nur Leseförderung betrieben (mit Aktionen wie „Tandem – Große lesen für Kleine“, „Lesekiste“ und „Passepartout“) sondern auch Schreibförderung. Der Wettbewerb „Kreatives Schreiben“ im letzten Schuljahr hat gezeigt, wie viel Talent in den Schülern schlummert. Manche der Sieger sind routinierte Schreiber, die sich durchaus eine Karriere als Schriftsteller vorstellen können. Andere haben ihren Text nur gezwungenermaßen abgeliefert – und konnten dennoch überzeugen.
Wir als Eltern sollten das nutzen. Lesen wir unseren Kindern vor – nicht nur den Kleinen, die selbst noch nicht lesen können. Fragen wir niemals einen Jugendbuch-Autor, ob er auch „richtige“ Bücher schreibt! Und falls Sie selbst sich mit Kinder- und Jugendbüchern nicht auskennen – fragen Sie im Buchfink, kommen Sie zu Lesungen dort (im Fink for Fun zum Beispiel wird monatlich eine Auswahl guter Kinder- und Jugendbücher vorgestellt, die Sie auch auf der Homepage finden) oder an der Schule, schauen Sie sich in den Bibliotheken der iDSB um und sprechen Sie mit Ihren Kindern über Bücher. Sie werden erstaunt sein, wie viel junge Leser aus ihrer Lektüre mitnehmen.
Ich persönlich kann mich also den Unkenrufen nicht anschließen! Kinder und Bücher – das passt auch heute noch zusammen!
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