Im Kontext einer Ausstellung, die Künstler dreier Generationen vorstellt, die sich dem Surrealen und Fantastischen verschrieben haben, sind auch Arbeiten des in Brüssel geborenen belgischen Künstlers Roland Delcol zu sehen, der weitgehend ebenso unbekannt ist wie andere vorgestellte Künstler, darunter der Vater des Erfolgsschriftstellers Michael Ende, dessen „Momo“ für Furore sorgte.
Nach seinem Studium der Wirtschaftswissenschaften zog es Delcol, der bis heute in Brüssel lebt und arbeitet, an die Akademie der Schönen Künste (Saint Gilles, Brüssel), um sich ganz und gar der Kunst zu widmen. In Deutschland war er bereits vor mehr als vier Jahren in einer Retrospektive zu sehen, die das Museum Wiesbaden veranstaltete.
Delcol spielt in seinen Arbeiten mit Zitaten aus der Kunstgeschichte, bedient sich aber auch der Malweise und Motive der Pop Art. Skulptierte Traumwelten ähnlich wie Tanguy oder zerlaufende Uhren und flammende Giraffen wie Dalí zeigt uns Delcol nicht. In seinen meist unbetitelten Arbeiten – alle führen allerdings einen „Untertitel“ – konfrontiert er uns mit fotorealistisch gemalten weiblichen Akten. Vollbusige Damen, die durchaus aus der Welt des „Playboy“ stammen könnten, beherrschen seine Kompositionen und begeben sich teilweise in einen stummen Dialog mit anderen Figuren, die aus der Kunstgeschichte entlehnt sind. Selbstbewusst erscheinen die nackten Damen, nicht schamhaft und auch nicht lasziv, aber durch und durch barock-weiblich.
Pin-ups
Eva und Madonna zugleich sind sie, und manch ein Mann träumt von ihnen, so auch in der Arbeit „The body of his mind“: Gezeigt wird eine Szene am Frühstückstisch, in der ein Kerl in rotem Pullover und blauer Hose einem Vollweib mit langen brünetten Haaren gegenübersitzt. Er scheint sie zu begehren – zumindest aber davon zu träumen, mit der Dame ein intimes Stelldichein zu erleben. Doch sie scheint unerreichbar zu bleiben – trotz der Nähe des „Paares“. Der weibliche Akt, dem auch Ikonen der Pop Art wie Tom Wesselman („Great American Nude“) huldigten, ist durchgängig in Delcols Arbeiten präsent – ganz im Gegensatz zu anderen belgischen Surrealisten wie René Magritte und Marcel Broodthaers. Paul Delvaux hingegen lässt in seinen surrealen Theaterkulissen – siehe das Gemälde „Die Treppe” – nackte „Traumfrauen“ agieren, die wie belebte antike Skulpturen ausschauen. Insoweit unterscheidet sich Delcol mit seinen „Pin-up-Weibern“ durchaus von seinen belgischen Künstlerkollegen.
Delcol vereint in „Nobis intimissimus“ ein puppenhaftes Wesen, das der Hand des Malers Giorgio de Chirico entstammt, mit einem sitzenden Rückenakt. Die Szenerie platzierte er in eine fast leere nächtliche Landschaft, in der man am Horizont einen riesigen phallischen Turm und einige Häuser erblickt, die mit ihren roten Dächern und weißen Fassaden am Nachthimmel auftauchen.
Rätselhafte Botschaften
Breitbeinig liegt die Frau auf bunten Stoffen. Eine andere stehende Frau in blauem Kleid und entblößter Brust, hat die Decke beiseite geschoben, die die Nackte verhüllt hat. Am Bildrand erscheint sogar eine Comicfigur, ein Hase mit blonder Tolle und Schlappohren. So collagiert der Künstler ein Gesamtbild, das im Kern auf Jean Fouquets „Jungfrau Maria mit Kind umgeben von Engeln“ zurückgeht. Allerdings hat Delcol das Kind ebenso aus seiner Komposition verbannt, wie er auch die Figur der Maria seitenverkehrt ins Bild gesetzt hat. Im Original ist die linke Brust der Jungfrau Maria entblößt, da dort auch das zu stillende Kind sitzt. Bei Delcol hingegen ist die rechte Brust freigelegt. Doch warum?
Wie man mit Manets „Frühstück“ verfahren kann, zeigt eine weitere Arbeit des Künstlers. Neben dem jungen Mann mit schwarzer Jacke und Strohhut hat sich eine nackte Dame eingefunden, die sich aus dem Moment der Überraschung heraus, die Hand vor den Mund legt. Fühlt sie sich ertappt? Ist ihr die Szene peinlich? Es scheint so, denn im Hintergrund sieht man in einem Spiegel an der Wand die Spiegelung eines Fotografen, der die Kamera gezückt hat und die Dame wohl ablichtet. Auch Rembrandt muss bei Delcol für fantastische Begegnungen herhalten: Aus dem Gemälde „Die Anatomie des Dr. Tulip“ entlieh sich der belgische Künstler drei Ärzte und schuf seine eigene zu sezierende „Leiche“ – und die ist natürlich weiblich und nackt. Schließlich vereinte er auch den in der Wanne sitzenden sterbenden Marat mit einer nackten jungen Dame, die interessiert auf Marat hinabblickt, der noch seine letzten Zeilen in der Hand hält. Übrigens, auch Vermeer entging der Bildcollage von Delcol ebenso wenig wie Picasso, Popeye oder da Vinci, dessen Mona Lisa Delcol einfach mit einem sitzendem Halbakt verband.
Noch mehr Akte
Nicht nur die Arbeiten Delcols, darauf sei an dieser Stelle kurz hingewiesen, machen die aktuelle Aschaffenburger Schau besonders sehenswert, sondern auch die Arbeiten eher vergessener Surrealisten, unter denen auch Edi Brancolini zu finden ist. Er verbindet romantische Landschaften mit Versatzstücken von weiblichen und männlichen Akten und paraphrasiert zudem Themen wie „Adam und Eva im Paradies“. Einen nackten Frauentorso finden wir im Übrigen bei Karl Heidelbach wie auch eine nackte „Rapunzel“ auf einem Felsplateau bei Brancolini. In Heidelbachs Bilderwelt stoßen wir außerdem in dem Gemälde „Waffen der Frau“ auf weitere Frauentorsos, auf einer asphaltierten und weiß markierten Fläche platziert, will sagen: Delcol ist in Aschaffenburg mit seinen Nackten in bester Gesellschaft.
Ferdinand Dupuis-Panther
Informationen:
Phantastische Welten. Vom Surrealismus zum Neosymbolismus (1936 – 2008) Bilder dreier Generationen aus der Sammlung Axel Hinrich Murken, bis 3. März 2013.
Kunsthalle Jesuitenkirche, Pfaffengasse 26, 63739 Aschaffenburg
Tel. +49 / (0)60 21 / 21 86 98
Öffnungszeiten: Di: 14 – 20 Uhr, Mi – So 10 – 17 Uhr, Mo geschlossen.
Öffentliche Führungen: Jeden So um 11 Uhr, jeden Di um 19 Uhr
Alle Gemälde: © Roland Delcol (*1942)
Titelfoto: Sans paroles (Tod des Marat), 2008, Collage, 41 x 31 cm.
Foto 1: The body of his mind, 1968, Öl auf Leinwand 80×120 cm.
Foto 2: Sans paroles (Nach Edouard Manet „Le déjeuner“), 2005, Öl auf Leinwand, 100 x 120 cm.
Foto 3: Sans paroles (Nobis intimissimus nach Giorgio de Chirico), 2004, Öl auf Leinwand 60×80 cm.
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