Niederländische und flämische Malerei scheint die Vorliebe von Gustav Stüve und dessen Vorfahren gewesen zu sein. Ihre Sammlung enthält nun keine Meisterwerke in Öl von van Dyck, Jordaens, Snyders oder Rubens, aber in der grafischen Sammlung des Museums findet sich der eine oder andere Stich, die eine oder andere Radierung dieser Meister des Barock. Statt die Sammlung Stüve nun in die Gesamtsammlung thematisch oder zeitlich einzuordnen, hat man sich für die aktuelle Sonderschau entschieden, dem Besucher einen Blick in die Salons des Regierungspräsidenten zu gestatten.
Das bedeutet, dass man in der aktuellen Hängung die historische Hängung in der Krahnstraße 25 und in der Bergstraße, den jeweiligen Wohnsitzen des Sammlers und dessen Familie, aufgegriffen hat. Also nicht die Hängung im White Cube steht hier im Vordergrund, sondern eine Re-Inszenierung des gutbürgerlichen Wohnumfeldes, das von einem gewissen Kunstsinn mitbestimmt war.
Als 1879 in Osnabrück führende Persönlichkeiten der Stadt einen Museumsverein gründeten, wusste noch niemand so genau, wohin es mit der Osnabrücker Museumspolitik einmal gehen würde. Zumindest jedoch waren Personen mit Weitblick an diesem Prozess beteiligt. Zu diesen gehörte der Osnabrücker Regierungspräsident Gustav Stüve (1833–1911). Als Vorsitzender des Museumsvereins (1899–1909) bestimmte er nicht nur die Geschicke des Museums, sondern er hinterließ durch die Schenkung seiner umfangreichen Gemäldesammlung ein kulturpolitisches Testament, das den heutigen Stellenwert des zentralen Osnabrücker Museums als Kunstmuseum begründet.
Gutbürgerliches Aussehen
Auffallend ist, dass sich religiöse Motive wie die Anbetung der Könige oder David und das Haupt des Goliath im Mittelpunkt der jeweiligen Hängung befinden. Um diese eher großformatigen Ölgemälde scharen sich dann dicht an dicht Landschaften niederländischer und flämischer Maler. Diese Gemälde und die Entstehung der Sammlung stehen im Fokus der Ausstellung, in der selbst eine plüschige Wohnzimmer-Sitzgruppe inszeniert wurde, um dem Besucher einen Eindruck von der Lebenswelt eines Sammler zu vermitteln. Auch die Tatsache, dass man im ersten Ausstellungsraum, der der historischen Hängung vorbehalten ist, ein Tafelklavier findet, ist Indiz dafür, dass man neben einer Kabinetthängung des 18. Jahrhunderts (Villa der Familie in Krahnstraße 25) und einer “modernen” Hängung im Haus Bergstraße zeigen wollte, was gutbürgerliche Lebensform eigentlich meint.
Wer sich für flämische Malerei und Grafik interessiert, der wird sich für die Schau begeistern können. Hier sieht der Besucher zum Beispiel eine Rinder- und Ziegenherde mit einem Hirten auf dem Maultier. Diese bäuerliche Szene lässt Nicolaes Berchem in einer Ideallandschaft mit einem Flusstal und einer Burg auf einem Felssporn spielen. David Teniers II hingegen präsentiert uns einen Alchemisten. Doch auch eine in Öl gemalte Reiterschlacht und „Zacharias und der Engel im Tempel“, eine Arbeit von Abraham Danielsz de Hondt, kann man sich anschauen. Dramatisch erscheint die „Feuersbrunst“, die Egbert Lievensz van der Poel malte, während uns Jan Vermeer II van Haarlem in eine Dünenlandschaft mit Eichenwald entführt. Mit Joos de Momper d. J. überquert man gedanklich einen Alpenpass, was um 1600 gewiss ein besonderes Abenteuer war, jenseits von GPS, alpiner Hightech-Ausrüstung und organisierter Bergrettung. Verlassen wir das Wohnambiente der Krahnstraße, wo all diese Arbeiten zu finden sind, und “begeben” uns in den “kleinen Salon in der Bergstraße” im Jahr 1903, so fällt unser Blick auf ein in einer Goldfassung befindliches Rundbild mit einer Gebirgslandschaft, die Lucas van Valckenborch um 1580 malte. Aber auch ein bewegtes Seestück von Pieter Müller d. Ä. hält den Betrachter gefangen.
Landleben
Unsere Bilderreise führt uns weiter in ein „Dorf am Kanal“, ein Werk von Thomas Heeremans, der uns Frauen beim Wäschewaschen am Kanal ebenso zeigt wie die mit Passagieren voll beladenen Kähne und zwei Zecher vor dem Wirtshaus. Halb zerfallen ist das Bauernhaus, das Roelof Jansz van Vries am Rande eines Flusses malte. Im Hintergrund erkennt man die Silhouette von Haarlem, zu der auch die Grote Kerk und einige Windmühlen gehören. Ein Schüler David Teniers, der aus Mechelen gebürtige Lambert de Hondt, hielt hingegen eine belebte Landstraße nahe einem verfallenen Gehöft in Öl für die Nachwelt fest. Ein Karren mit vorgespanntem Pferd, auf dem ein Mann sitzt, ist auf dem staubigen Weg unterwegs, und ein Reiter auf einem Schimmel scheint sich bei einem Bauern nach dem Weg zu erkundigen, während eine Kuh den Weg quert und ein Hund ausgelassen auf dem Weg herumtollt. Zu den bekannten flämischen Meistern der Sammlung in Osnabrück gehört Frans de Vriendt, genannt Frans Floris. Von diesem Antwerpener Maler präsentiert man die „Kreuzschleppung“, ein klassisches Thema, bei dem alle Augen auf den unter der Last des Kreuzes zusammengebrochenen Jesus gerichtet sind.
Recht zahlreich sind die Seestücke, die man zeigt, ob nun solche, die im Umkreis von Ludolf Backhuizen entstanden sind oder von Bonaventura und Gillis Peeters I stammen. In ihnen zeigt sich die Tradition der Seefahrt, wie sie im 17. Jahrhundert in den südlichen und nördlichen Niederlanden gang und gäbe war.
Hinzuweisen ist auch auf die grafische Sammlung, zu der auch einige Genreszenen gehören, die Adriaen van Ostade zu verdanken sind, so auch „Der bucklige Violinenspieler“ oder “Fest in der Laube”. Zum Schluss stehen wir auch der Familie des Malers Teniers gegenüber, die sich vor ihrem Haus versammelt hat. Ist der Cellospieler, den wir sehen, gar Teniers selbst?
Ferdinand Dupuis-Panther
Alle Gemälde: © Kulturgeschichtliches Museum Osnabrück.
Titelfoto: Landung eines Handelsschiffes an südlicher Küste, Bonaventura und Gillis Peeters I (Antwerpen), Öl auf Holz, signiert, 1633.
Foto 2: Magdalena zu Füßen des Heilands im Hause des Pharisäers, Peter Paul Rubens (Siegen 1577 – 1640 Antwerpen), 1640/42, Kupferstich von Michel Natalis (Lüttich 1610 – 1668 Lüttich) nach Rubens.
Foto 3: Das Fest in der Laube, Adriaen van Ostade (Haarlem 1610 – 1685 Haarlem), undatiert, Radierung.
Foto 4: Das Fest unter dem Baum (Kirmes), Adriaen van Ostade (Haarlem 1610 – 1685 Haarlem), undatiert, Radierung.
Foto 5: Kreuzsetzung (Lukas 23, 33), Anthonis van Dyck (Antwerpen 1599 – 1641 London), undatiert, Kupferstich von Schelte Bolswert (Bolsward um 1581 – 1659 Antwerpen) nach van Dyck.
Foto 6: Mutius Scavola, Peter Paul Rubens (Siegen 1577 – 1640 Antwerpen), 1776, Kupferstich von Jakob Schmuzer (Wien 1733 – 1811 Wien) nach Rubens.
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