Belgien wirft den deutschen Behörden vor, unlautere Konkurrenz insbesondere in der Fleischwirtschaft nicht zu unterbinden. Die Deutschen arbeiteten mit Arbeitskräften aus Osteuropa, denen sie Hungerlöhne zahlen. Jetzt will der belgische Wirtschaftsminister die EU einschalten.
In der Vergangenheit galt Deutschland in ganz Europa als Hochlohnland. Das hat sich in den letzten Jahren geändert. Nicht nur die Gewerkschaften kritisieren, dass die deutschen Löhne nicht immer Schritt halten mit dem wirtschaftlichen Erfolg der deutschen Wirtschaft. Die EU-Kommission hat die Bundesregierung schon im vergangenen Jahr darauf hingewiesen, dass die Löhne in Deutschland langsamer steigen als die Produktivität. Dadurch werden deutsche Waren und Dienstleistungen tendenziell billiger.
In Belgien, wo die Löhne automatisch an die Preisentwicklung angepasst werden (die sog. Indexierung), steigen die Kosten dagegen weiter an. Belgische Firmen verlieren deswegen ihre Wettbewerbsfähigkeit.
Verdrängung belgischer Firmen
Jüngste Opfer der belgo-germanischen Lohndrift sind die belgischen Schlachthöfe und Fleischverarbeiter. Ihre Fleischexporte nach Korea seien in den letzten Jahren „geschmolzen wie das Eis in der Sonne“, sagt Thierry Smagghe, der Chef des Verbandes der fleischverarbeitenden Industrie (FEBEV). Besonders bei den arbeitsintensiven Produkten hätten die Deutschen belgische Firmen auf vielen Märkten verdrängt.
Belgische Betriebe hätten damit begonnen, einen Teil ihrer Produktion nach Deutschland zu verlagern. Schweine werden in Belgien geschlachtet, zum Zerlegen nach Deutschland gebracht und landen am Ende wieder in belgischen Supermärkten. Das rechnet sich, denn die deutschen Fleischverarbeiter zerlegen ein Schwein für 1,66 Euro in verkaufsfertige Portionen, die belgische Konkurrenz nimmt dafür 4,50 Euro.
„Chinesische Verhältnisse“
Die Klage der Fleischindustrie, die hierzulande 16 000 Menschen beschäftigt, ist bei der Föderalregierung auf offene Ohren gestoßen. Wirtschaftsminister Johan Vande Lanotte und Arbeitsministerin Monica Deconinck haben in der vergangenen Woche Fleischverarbeiter in Niedersachsen besichtigt und sind dabei auf „chinesische Verhältnisse“ gestoßen: Stundenlöhne zwischen 3 und 5 Euro, Arbeitszeiten bis zu 60 Stunden in der Woche, Massenunterkünfte zu Wuchermieten.
Weil deutsche Arbeitnehmer dafür keine Schweine zerlegten, holten die Betreiber der Schlachthöfe Arbeiter und Arbeiterinnen aus Rumänien und Bulgarien nach Deutschland, sagt Vande Lanotte: „Das ist ein inakzeptabler Missbrauch der Regeln, die für die Entsendung von Arbeitnehmern gelten.“ Weil Rumänen und Bulgaren trotz EU-Mitgliedschaft noch nicht ohne Genehmigung in Deutschland arbeiten dürfen, heuern die deutschen Firmen Subunternehmen aus diesen Ländern an.
Die Arbeiter erhalten deswegen den rumänischen oder bulgarischen Stundenlohn. Auf dem Bau würden die „entsandten Arbeitnehmer“ trotzdem den deutschen Mindestlohn bekommen. In der Fleischindustrie haben Gewerkschaft und Arbeitgeber aber keinen Mindestlohn vereinbart.
Keine Handhabe
Dagegen wollen die Belgier jetzt die EU in Stellung bringen. „Wir werden an die Kommission schreiben und verlangen, gegen diese Praktiken einzuschreiten“, sagt der Wirtschaftsminister. „Wir wollen keine Konfrontation mit einem Partnerland aber wir werden unwürdige Verhältnisse nicht akzeptieren.“
Rechtlich hat Brüssel allerdings keine Handhabe. Die Festsetzung von Löhnen und Gehältern ist ausschließlich Sache der EU-Mitgliedsstaaten. Weil es in den deutschen Schlachthöfen keinen Mindestlohn gibt, sind Stundenlöhne von drei Euro nicht illegal. Arbeitszeiten oder Sicherheitsstandards, die der deutsche Gesetzgeber vorschreibt, müssen zwar respektiert werden, lassen sich aber nur schwer kontrollieren. Die Kommission hat zwar vorgeschlagen, Firmen, die entsandte Arbeiter beschäftigen, besser zu kontrollieren. Aber die entsprechende Richtlinie wird noch vom Ministerrat und vom Parlament beraten.
Unabhängig von den Verhältnissen in der Fleischindustrie empfiehlt die Kommission den Deutschen die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes. Der würde auch für entsandte Fleischer gelten, die in deutschen Schlachthöfen arbeiten.
Tom Weingärtner
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