Von Thomas Philipp Reiter
Niederländisch wird nicht nur in den Niederlanden gesprochen, so viel ist klar. Neben der ehemaligen Kolonie Surinam ist das heutige Standard-Niederländisch auch die offizielle Amtssprache der belgischen Region Flandern sowie gleichberechtigt mit Französisch auch in Brüssel. Anders als die europäische Hauptstadt ist Flandern immer noch sehr flämisch. Flämisch ist trotz der räumlichen und sprachlichen Nähe zum nördlichen Nachbarn etwas anderes als Niederländisch, auch wenn die Unterschiede nicht auf den ersten Blick deutlich werden. Viele Flamen wären gerne nicht belgisch, aber Niederländer wollen sie (bis auf wenige Ausnahmen) deswegen auch nicht werden.
Trotz aller wirtschaftlichen und auch politischen Verbindungen: Belgier und Deutsche sind sich in aller Regel in herzlichem Desinteresse zugeneigt, wenn man nicht gerade an die beiden Weltkriege erinnert. Beim Blick nach Norden jedoch entstehen andere Gefühle: Niederländer genießen bei Flamen zuweilen den Ruf, geizig, egoistisch, chauvinistisch (zuviel „Oranje“) und calvinistisch zu sein. Letzteres wird weitgehend mit spaßbefreit gleich gesetzt, was dem in Belgien gerne gepflegten burgundischen Lebensstil entgegen steht. Was die Niederländer jedoch nicht davon abhält, mit ihren Wohnwagen belgische Campingplätze aufzusuchen, dann allerdings eher in den Ardennen als in Flandern. Dieser Landstrich gilt nach niederländischem Verständnis schon als Gebirge.
„Gerold door de Hollanders“
Umso schlimmer also aus belgischer Sicht, wenn ausgerechnet eine Einzelhandelsikone wie die Supermarktkette „Delhaize“ in niederländische Hände fällt. Die Ahold-Gruppe hat jetzt bekannt gegeben, 61 % der Anteile erworben zu haben. Ahold vertreibt ihre Waren unter der in den Niederlanden weit verbreiteten Marke „Albert Heijn“. Die belgischen Tageszeitungen titeln entsprechend auf Niederländisch wie auch auf Französisch: „Belgier verlieren Kontrolle über Delhaize“ (Le Soir), „Von Holländern über den Tisch gezogen“ (Het Laatste Nieuws), „Ahold hat den Delhaize-Löwen geschluckt“ (La Dernière Heure). Offiziell handelt es sich um eine Fusion, aber beim neuen Kräfteverhältnis wird klar, dass wenn Arbeitsplätze durch diesen Schachzug in Gefahr geraten, dies eher in Belgien als in den Niederlanden der Fall sein wird, nicht zuletzt weil der Arbeitsmarkt in den Niederlanden deutlich flexibler ist und die Lohnkosten geringer sind. Übrig bleiben dann in Belgien die sogenannten „hamburgerjobs“.
Zoute drop, boerenkool, pindasaus
Der Verbraucher hat seine eigene Sicht auf die Dinge. Womöglich wird er sogar aufgrund der Größe des neuen Supermarktriesen mit sinkenden Preisen rechnen können. „Delhaize“ gilt eher als teuer, „Albert Heijn“ hingegen als günstig, tatsächlich ist das Preisniveau im Durchschnitt ähnlich. Der Schock über diesen Deal („schwarzer Tag für die belgische Wirtschaft“) hat seine Gründe. Denn beim Lebensmitteleinkauf werden kulturelle wie auch sprachliche Unterschiede zwischen Belgiern und Niederländern besonders schnell deutlich. Nur ein Beispiel: Im Norden ist man ähnlich wie in Deutschland daran gewöhnt, auch Frischware vorverpackt im Regal zu verkaufen. Beim südlichen Nachbarn hingegen kauft man diese Produkte lieber am Tresen.
Größte Sorge ist aber, dass man sich jetzt vielleicht sogar auf ur-niederländische Produkte und Bezeichnungen in belgischen Supermärkten einstellen muss: zoute drop, boerenkool, pindasaus (salzige Lakritze, Grünkohl und Erdnuss-Sauce) sind in Belgien nicht sehr populär. Besonders dramatisch: niederländische slager und belgische beenhouwer (Metzger) schneiden Fleisch unterschiedlich und nutzen auch verschiedene Bezeichnungen. Das nördliche kogelbiefstuk (Rumpsteak) heißt im Süden in der von Oberseite oder dem Muskelstück geschnittenen Variante tournedos. Kwark ist in Flandern plattekaas. Es gibt noch unzählige weitere Beispiele , die man in Het Vlaams Woordenboek nachlesen kann. Entscheidend jedoch ist: es muss dem Flamen sneukelen, so wie dem Niederländer smullen.
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