Es war eine filmreife Feier, eine Mischung aus Glitz, Glamour, (Brüsseler) Prominenz, Prinzessinnentraum und viel Walzer. Wo einst König Leopold II. und Hofdamen in feinen Gewändern mit Parasols in der Rue d`Arlon flanierten, drehte sich am 7. Februar im Concert Noble alles im Dreivierteltakt.
Mehr als 850 Gäste waren in das auf Anregung von Leopold II. im Jahr 1873 erbaute „Palais“ gekommen, um am Wiener Ball, dem Fest aller Feste teilzunehmen, der als Höhepunkt der Brüsseler Ballsaison gilt, und alljährlich von der Österreichischen Vereinigung in Belgien organisiert wird. Schon vor Monaten gab´s keine Tickets mehr. „Alles war im Nu ausverkauft,“ so die Österreicherin Karin-Lukas Eder, die zusammen mit ihrer Landsmännin Barbara Francois zum ehrenamtlichen Organisationskomitee gehört, und das Fest für Augen und alle Sinne bis ins kleinste Detail perfekt organisierte.
Im Jahr 1960 habe alles als Debütantenball für Belgier, die damals Walzer lernen wollten angefangen, erklärt mir der ehemalige Präsident der Österreichischen Vereinigung in Belgien, Volkmar Hierner. Daraus habe sich allmählich eine Veranstaltung in der Art der Wiener Bälle entwickelt, die außerhalb von Österreich so nur in Brüssel alljährlich in der Faschingszeit zelebriert werden. Fest steht, dass man nicht nur in Wien weiß, wie getanzt und gefeiert wird, sondern in Brüssel ebenso.
Eine edle Robe aus dem Internet
Zum Beispiel Alexandra Davignon. Sie hat in wenigen Augenblicken ihren großen Auftritt. Mit ihrem Tanzpartner sowie 22 weiteren Paaren wird sie nach dem Motto «alles Walzer», über das Parkett schweben. Und das bereits zum dritten Mal. Dabei scheint ihr das «Wiener Blut» in ihren belgischen Adern zu liegen, wovon ich mich einige Minuten später überzeugen kann. In ihrem weißen Traum von Tüll und Spitzen bewegt sie sich wie eine Prinzessin. Auf meine Frage, wo sie diese edle Robe erstanden habe, antwortet sie zu meiner großen Überraschung, dass sie im Internet fündig geworden sei. Es sei ein Hochzeitskleid, stamme aus China und habe ihr auf Anhieb gepasst.
Trainiert werden die Tanzpaare, die weder aus aristokratischen Kreisen stammen müssen, noch Tanz-Vorkenntnisse brauchen, von Christophe Houtart, einem Belgier und seiner Ehefrau. «Als ich sechs Jahre alt war, brachte mir mein Vater den Walzer bei», so Christophe, der den Wiener Geist alljährlich nach Brüssel bringt.
Derweil glitzert und funkelt es im Concert Noble. Aber hinter all dem Glanz und Glamour sowie der prachtvollen Kulisse steckt viel Vorbereitungsstress, den man Karin Lukas-Eder, die die Gäste in mehreren Sprachen charmant begrüßt und bis zum Startschuss alle Hände voll zu tun hat, überhaupt nicht an. Die Österreicher, so denke ich, wissen, wie man stilvoll Glamour und Gemütlichkeit zelebriert. Dabei gehören Apfelstrudel, Sachertorte, Wiener Würstchen, Schnitzel, Abendkleid und Smoking sowie ein kleines Geschenk, die so genannte Damenspende, zur Tradition des Wiener Balls in Brüssel. Politiker, Diplomaten, Hochadel und Ottonormalverbraucher aus ganz Europa profitieren.
Ein großes Modekino spielte sich vor meinen Augen ab. Für die weiblichen Gäste ist solch ein Fest stets ein willkommener Anlass, sich so richtig schick zu machen. Von schlicht bis hoch elegant war alles dabei. „Am heutigen Abend treffen Österreicher, Belgier und viele andere Europäer zusammen, ähnlich wie in Zeiten der habsburgischen Monarchie“, so Christian Macek, Präsident der Österreichischen Vereinigung in Brüssel. Ein original Wiener Ballorchester, dass wie alle Jahre direkt aus Wien eingeflogen sei, lädt zum Schwingen der Tanzbeine ein. Das Jungdamen- und Jugendherrenkomitee eröffnet nunmehr den Ball mit einer traditionellen Polonaise und bringt den so typischen Wiener Flair auch nach Brüssel, fuhr er fort. Ferner begrüßte er die zahlreichen Ehrengäste, unter Ihnen Walter Grahammer, Ständiger Vertreter Österreichs bei der EU, Österreichs EU-Kommissar Johannes Hahn, Mitglieder des Europäischen Parlamentes und die zahlreich erschienenen Botschafter im Königreich Belgien, Nato und der Europäischen Union. Oliver Paasch, Ministerpräsident der Deutschsprachigen Gemeinschaft, der ebenso auf der Gästeliste stand, hatte wegen einer Krankheit kurzfristig abgesagt.
Wiener Balltradition
Der traditionelle Wiener Ball entwickelte sich aus gesellschaftlichen Veranstaltungen am französischen und burgundischen Hof im 14. Jahrhundert, bei denen auch getanzt wurde. Schon im 18. Jahrhundert hielten in Wien verschiedene Kaiser ihre Untertanen mit zahlreichen Tanz-und Musikveranstaltungen bei Laune. Im 19. Jahrhundert brachte ein leichtbeschwingter Tanz im Dreivierteltakt Mann und Frau auf dem Parkett so eng zusammen wie nie zuvor: Eng drehend mit dem Arm des Herrn um die Taille der Dame gelegt, tanzten Wiener Paare den Walzer – und bald darauf Menschen in der ganzen Welt.
Mit einer flotten Polonaise eröffneten die Debütanten ganz traditionell den „Wiener Ball“ auch in Brüssel. Mit viel Klasse, Stil, Eleganz, Perfektion und Raffinesse schwebten sie dann durch den festlich geschmückten Raum und verzauberten alle Gäste. Nicht weniger zauberhaft, und anmutig präsentierte sich das Kinderballett der Ballettschule Marly. «Ich bin hier, da meine Tochter Anja auftritt», sagte Norwegens Botschafter voller Stolz, bedauerte jedoch, dass er bis heute keinen Walzer tanze. Mit norwegischen Folkloretänzen käme er besser klar. Nach der glanzvollen Eröffnung animierte der Tanzmeister mit den Worten «Alles Walzer» die übrigen Ballgäste zum Tanzen.
«Oh je, ich kann gar nicht tanzen, und Walzer schon gar nicht, dafür kenne ich alle Karnevalslieder», meinte der aus Düsseldorf stammende Ralph, der trotz seines Tanzdefizits in Feierlaune war. Im Vorjahr sei er zum Wiener Ball in die Hofburg geladen gewesen, was im so gut gefallen habe, dass er sich nicht nur einen teuren Smoking gekauft habe, sondern ihn nun auch «ausführen» wolle. Und dazu biete der stilvolle Ball eine gute Gelegenheit. Dagegen stürzte sich Deutschlands Botschafter Eckart Cuntz ins Tanzgewimmel und ließ (fast) keinen Tanz aus. Auch einige Tanzmuffel wagten ein Tänzchen, übten sich im Dreivierteltakt und ließen sich dabei sogar brav fotografieren.
Um Mitternacht forderte der Tanzmeister zur Quadrille auf. Sofort drängelten sich Alt und Jung auf der proppenvollen Tanzfläche und gerieten schwer ins Schwitzen, während die Preise der Tombola viele Gäste freudig überraschte. Andere nutzen die Zeit beim Schlangestehen zum Plausch an der Bar und Würstchenstand oder gingen trotz der Bibberkälte zum Rauchen nach draußen. Bis um vier Uhr morgens wurde dann mit schmissigem Discosound das noble Haus gerockt.
Mit dem Lied „Brüderlein fein“ aus dem Zaubermärchen Bauer als Millionär ging mit einem „Wow“ eine rauschende unvergessliche Ballnacht zu Ende. Aber zum reinen Selbstzweck wurde nicht gefeiert. Ein großer Teil des Erlöses aus dem Wiener Ball 2015 geht an die SOS Kinderdörfer in Belgien, und das macht diesen Ball noch einzigartiger.
Heide Newson
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