Die Medien haben ausführlich über die Rede des deutschen EU-Energiekommissars Günther Oettinger auf der Jahreshauptversammlung der deutsch-belgisch-luxemburgischen Auslandshandelskammer (AHK debelux) Ende Mai im Brüsseler Audi-Werk berichtet, in der Oettinger die EU einen „Sanierungsfall“ und eine „Erziehungsanstalt“ nannte und die deutsche Industrie- und Energiepolitik kritisierte. Oettinger war der geladene Starredner, doch ging es auf der Jahreshauptversammlung nicht nur um Europa, sondern auch um die deutsch-belgischen Wirtschaftsbeziehungen.
Die versammelten Wirtschaftsbosse und Manager durften deshalb zur Festveranstaltung eine 37.000 Quadratmeter große Photovoltaik-Anlage auf den Dächern des Audi-Montagewerks bewundern, die größte in Brüssel, die von EU-Energiekommissar Günther Oettinger (CDU) und der Brüsseler Umweltministerin Evelyne Huytebroeck (Ecolo) eingeweiht wurde.
Keine Zweifel am Audi-Standort in Belgien
Das Unternehmen gibt sich innovativ. „Fortschritt durch Technik“ lautet der Slogan von Audi. Das langfristige Ziel: Co2-neutrale Mobilität. Offensichtlich geht das Geschäftsmodell von Audi, das seit sechs Jahren in Brüssel produziert, auch in Belgien auf. Audi hat dort 560 Millionen Euro investiert, beschäftigt rund 2400 Mitarbeiter im Zweischichtbetrieb und bringt jährlich 120.000 Einheiten des Premium-Kleinwagens A1 aus und setzt davon über 31.000 in Belgien ab. Das entspricht einem Marktanteil von 6 Prozent – mit steigender Tendenz. 2013 werde ein Rekordjahr, versprach der Generaldirektor Gerhard Schneider von Audi Brüssel. „Das können wir nicht verhindern“. Die Auslastung der Kapazitäten lasse keine Zweifel an der Zukunft der belgischen Fertigung aufkommen. Audi will also in Belgien bleiben, obwohl das Königreich eigentlich kein idealer Standort für die Autoindustrie ist, wie die Schließungen der Fordwerke in Genk und der Opelwerke in Antwerpen zeigen.
Für Audi jedoch scheint Belgien ein attraktiver Produktionsstandort und ein gutes Pflaster für den Absatz zu sein. Vor einem Jahr feierte Audi sein fünfjähriges Bestehen im Brüsseler Stadtviertel Forest. Bis 2009 rollten 200.000 VW-Golf von den Bändern des Werks, das es seit 1948 gibt.
Rückgehender bilateraler Außenhandel
Der belgische Botschafter in Berlin, Renier Nijskens, beklagte den Rückgang des bilateralen Außenhandels zwischen Deutschland und Belgien. Mehr als 40 Prozent der belgischen Exporte gehe nach Nordrhein-Westfalen. Laut Angaben des deutschen statistischen Bundesamts hat Deutschland 2012 nur 0,1 Prozent mehr als 2011 aus Belgien importiert (Importvolumen 2012 38 Milliarden Euro) und 5 Prozent weniger nach Belgien exportiert (Exportvolumen 2012 45 Milliarden Euro). Belgien ist einer von Deutschlands wichtigsten Handelspartnern.
Der deutsche Export verlagert sich aber zunehmend in die Schwellenländer. Noch sei Belgien weit vorne vor den BRICS-Staaten Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika, was Deutschlands Exporte angehe, sagte der deutsche Botschafter Eckart Cuntz. „Wir müssen neue Wege finden“, sagte er und erwähnte das Elektroauto. Die neue, erste Stromverbindung zwischen Deutschland und Belgien, das so genannte Allegro-Projekt, die über Ostbelgien läuft und 2018 betriebsfertig sein soll, werde die wirtschaftliche Verflechtung der beiden Staaten stärken, so Cuntz.
Oettinger warnt vor De-industrialisierung
EU-Kommissar Oettinger sprach Tacheles. Er warnte vor der De-Industrialisierung Europas: „Haltet, was an Industriekapazität da ist. Die britische Premierministerin Margaret Thatcher habe große Fehler begangen, zu Gunsten der Finanzindustrie, die die City of London bevölkere und heute in der Krise sei: Ein Heer von Bankern, “halb so alt wie ich, doppelt so altklug, Brille und arbeitslos”, sagt Oettinger. Man werde nicht erst Mensch, wenn man Akademiker sei. Audi sei ein „Scheißbetrieb“ gewesen bis Ferdinand Piëch, heute Vorsitzender des Aufsichtsrats des VW-Konzerns gekommen sei. „Audi ist das beste Beispiel dafür, wie sich Europa entwickeln kann.”
Autor: Rainer Lütkehus
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