Von Marion Schmitz-Reiners.
Die Krankheit, die ihn die letzten zwei Jahrzehnte seines Lebens begleitete, nannte er „sympathisch“: Der Morbus Parkinson mache „alles schwieriger, aber ich muss mir einfach noch mehr Mühe geben.“ Sein ganzes Leben lang war André Leysen keiner Herausforderungen aus dem Weg gegangen. Am Freitag, dem 17. Juli, fand in der Antwerpener Liebfrauenkathedrale die Trauerfeier für den mit 88 Jahren verstorbenen belgischen Unternehmer, Wirtschaftsexperten und Brückenbauer zwischen Belgien und Deutschland statt.
Die Beziehungen André Leysens zu Deutschland begannen unter einem schlechten Stern. 1927 wurde er im flämischen Dorf Pulle in eine Familie von Putzlappenfabrikanten hineingeboren. Im Zweiten Weltkrieg fanden die Lumpen bei den deutschen Besatzern reißenden Absatz und die ohnehin flämisch-nationalistisch gesinnte Familie wandte sich nationalsozialistischem Gedankengut zu. 1943 wurde Leysen Mitglied der Hitlerjugend Flandern. Er besuchte die Deutsche Schule in Antwerpen – die 30 Kilometer legte er täglich mit dem Fahrrad und der Straßenbahn zurück – und nach dem Abitur die Reichsführerschule in Potsdam.
Zurückgekehrt nach Belgien, wurde er als Sohn von „Wirtschaftskollaboranten“ zu einer kurzen Haftstrafe verurteilt. Als er im Gefängnis über die Gräuel der Konzentrationslager aufgeklärt wurde, wandte er sich endgültig vom Nationalsozialismus ab. „Man muss aus der Vergangenheit lernen, um eine bessere Zukunft bauen zu können“, das sollte seine lebenslange Botschaft bleiben.
Statt Studium steile Karriere in der Wirtschaft
Mitte der 1950er Jahre heiratete Leysen die Deutsche Anna Ahlers, deren aus Bremen stammender Vater in Antwerpen die Schiffsagentur Ahlers betrieb. Unter André Leysens Leitung wurde Ahlers zu einer der größten Antwerpener Reedereien mit rund tausend Mitarbeitern. Leysen, der wegen seiner Haftstrafe nicht zu einer Universität zugelassen wurde, entpuppte sich auch in den folgenden Jahrzehnten als Unternehmergenie. Er stieg ins Mediengeschäft ein und wurde Vorstandsvorsitzender der Verlagsgruppe VUM (heute Corelio) und der belgisch-deutschen Gruppe Agfa-Gevaert. Weiter war er Vorstandsmitglied großer deutscher und internationaler Unternehmen wie Bayer, Deutsche Telekom, Deutsche Bank, Hapag-Lloyd oder Philips. Nach der deutschen Wiedervereinigung wurde er nicht nur der einzige Nichtdeutsche im Verwaltungsrat der Treuhand, sondern auch Mitglied des fünfköpfigen Präsidiums. Mit dem ehemaligen Bundespräsidenten Horst Köhler verband ihn eine lebenslange tiefe Freundschaft.
Wer ihn kannte, erinnert sich auch an seinen Humor – den eines Selfmademan. In einer im September 2000 vor der Bayer AG gehaltenen Rede formulierte er scherzhaft eine Stellenanzeige, die genau auf sein Profil und auf die „Marktnische“ zutraf, in der er sich „eingerichtet hatte“: „Ausländer gesucht, der in Deutschland einige Bekanntheit genießt und der gut genug Deutsch spricht, um sich verständlich zu machen, der aber auch genug Fehler macht, um sofort als Ausländer eingestuft zu werden. Weiter muss er mit den deutschen Sitten und Gebräuchen soweit vertraut sein, dass er in der Lage ist, unpassende Fragen in unpassenden Augenblicken zu vermeiden.“ (1)
André Leysen erwies sich auch in kultureller Hinsicht als belgisch-deutscher Brückenbauer. So setzte er sich intensiv für den Wiederaufbau der zerstörten Frauenkirche in Dresden ein. Und er war ein überzeugter Europäer. 2008 gründete er den Europäischen Jugendkarlspreis, mit dem alljährlich Projekte ausgezeichnet werden, die das Bewusstsein für Europa unter jungen Menschen stärken.
So war auch Herman Van Rompuy, bis 2014 erster ständiger Präsident des Europäischen Rates, am 17. Juli bei der Trauerfeier in Antwerpen anwesend. Zu den Ehrengästen gehörten weiter der belgische Vize-Premier Kris Peeters und Hafendirektor Eddy Bruyninckx. Schon frühmorgens hatten sie sich vor der Kathedrale eingefunden, die sich schließlich mit 600 Angehörigen, Freunden und Bekannten des Verstorbenen füllte, darunter die Söhne Christian und Thomas, wie ihr Vater im Reederei- beziehungsweise Mediengeschäft tätig. Die Trauerfeier wurde von Priester Kristof Struys geleitet, ebenfalls Mitglied der weit verzweigten Familie Leysen-Ahlers.
André Leysen selber hatte gewünscht, dass man in der Antwerpener Liebfrauenkathedrale seiner gedachte, „der schönsten gotischen Kirche der Welt“. Bis zuletzt hielt er die Fäden in den Händen.
(1) Aus: André Leysen, Wanderer zwischen zwei Welten, Gedanken eines gesellschaftlich engagierten Unternehmers, Lannoo 2002, limitierte Auflage.
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