Von Margaretha Mazura.
“Girl”, Erstlingswerk des belgischen Regisseurs Lukas Dhont, heimste in kürzester Zeit wichtige Filmpreise ein, darunter die Caméra d’Or in Cannes, wo auch der debutierende, 16-jährige Hauptdarsteller Victor Polster den Jury Award für die beste darstellerische Leistung erhielt.
Der Film
Der Film behandelt die derzeit oft diskutierte Thematik von transgender: also Menschen, die eindeutige Geschlechtsmerkmale haben, sich aber andersgeschlechtlich fühlen. Dafür wurde der Ausdruck Gender-Identität erfunden (John Money prägte den Begriff).
Lara, ein 15-jähriges Mädchen, will Primaballerina werden und ist bereit, dafür viel auf sich zu nehmen. Neben dem Drill der Ballettschule und den normalen pubertären Problemen, hat Lara noch einen Extra-Stress: ihr Körper ist der eines Knaben. Sie will mit allen Mitteln “Frau werden”, nimmt Hormone und wird dabei von ihrem Vater unterstützt (die Mutter ist irgendwie abhanden gekommen). Das genial subtile Spiel Victor Polsters als Lara, immer überzeugend, niemals pathetisch, macht die Lobreden verständlich. Das überzogen anmutende Ende mit inadäquaten Mitteln – ich verrate es nicht – wurde von manchen kritisiert. Es zeigt aber letztendlich die Verzweiflung einer unverstandenen Pubertiernden, die aufsehenerregend auf sich und ihr Problem aufmerksam machen will (ein Thema, das nicht nur transgender Jugendlichen vorbehalten ist).
Während die scheinbar universelle Laudatio einen zeitgeistigen Überschwang ausdrückt, zeigt der Film in Wahrheit nur die Oberfläche wie die Spitze eines Eisbergs, ohne jedoch einen Blick auf das Verdeckte, das Unsichtbare zu wagen. Denn was als einfühlsame Initiation in die Welt der transgender Menschen gesehen wird, öffnet eine Pandora-Büchse an Fragen, zu denen es in vielen Fällen (noch) keine Antworten gibt.
Platons Kugelmenschen
Die Diskussion über Sex, Geschlecht und Vorlieben ist so alt wie die Menschheit. Platon lässt den Komödiendichter Aristophanes in seinem „Symposion“ Folgendes ausführen:
“Dem Mythos zufolge war die menschliche Natur ursprünglich ganz anders als die den Zuhörern vertraute. Die Menschen hatten kugelförmige Rümpfe[ sowie vier Hände und Füße und zwei Gesichter mit je zwei Ohren auf einem Kopf, den ein kreisrunder Hals trug. Die Gesichter blickten in entgegengesetzte Richtungen. Mit ihren acht Gliedmaßen konnten sich die Kugelmenschen schnell fortbewegen, nicht nur aufrecht, sondern auch so wie ein Turner, der ein Rad schlägt. Es gab nicht nur zwei Geschlechter, sondern drei: Manche Kugelmenschen waren rein männlich, andere rein weiblich, wiederum andere – die andrógynoi – hatten eine männliche und eine weibliche Hälfte.
Die rein männlichen stammten ursprünglich von der Sonne ab, die rein weiblichen von der Erde, die androgynen (zweigeschlechtlichen) vom Mond.” Das Ende ist, dass Zeus die Kugelmenschen, als sie zu mächtig wurden, teilen liess. Seitdem laufen sie recht verwirrt auf der Erde umher, auf 2 Beinen, mit nur einem Geschlecht und auf der ständigen Suche nach dem abhanden gekommenen Zweiten, das sie einst vereinte.
Es wird klar, dass die höchste Liebe in Platons Augen jene zwischen Männern war. Nach der Darstellung des Aristophanes bleiben die beiden Liebenden, die einst aus demselben Kugelmenschen hervorgegangen sind und einander gefunden haben, ihr ganzes Leben lang miteinander verbunden. Darauf basiert das Prinzip der Liebe: seinen ursprünglichen Partner, mit dem man verbunden war, zu finden, egal ob gleichgeschlechtlich oder heterosexuell.
Von LGB zu transgender
Die gesellschaftliche Gleichberechtigung von sexuellen Ausrichtungen, inklusive gleichgeschlechtliche Ehe wurde in den letzten 10 Jahren ausgefochten und ist nunmehr (beinahe überall) anerkannt.
Während L-Lesbisch, G-gay=homosexuell und B-Bi, also beides, noch relative leicht zu begreifen ist, ist das sei 2015 beigesetzte “T” = transgender, weniger leicht verständlich. Denn dieses in der westlichen Welt eher rezente Phänomen hat sowohl praktische als auch philosophische, medizinische und soziale Auswirkungen. Nehmen wir ein Beispiel: Frau = Busen + Vagina. Üblicherweise so geboren, heisst sie “weiblich”. Das ist das natürliche Geschlecht. Eine Frau, die sich dazu bekennt, kann dann entweder heterosexuell sein (was die Norm ist, nämlich durch die Vereinigung mit Männern Nachkommen zu zeugen), oder lesbisch (Frauen bevorzugend) oder bi (beide sexuelle Orientierung gleichmässig schätzend).
Jetzt gibt es aber die dokumentiert relativ seltenen Fälle des transgender: hier ist das natürliche sexuelle Merkmal der Geburt (männlich oder weiblich) vom gender (dem Gefühl, männlich oder weiblich zu sein) getrennt. Das ist das Thema des Films “Girl”. Um Fragen vorwegzunehmen: Transgender hat nichts zu tun mit Hermaphrodit oder Zwitter: diese haben beide sexuellen Geschlechtsmerkmale (z.B. Busen und Penis) und werden hier nicht berücksichtigt, da dies zu weit führen würde.
Die Lara im Film hat einen Penis, keinen Busen, fühlt sich aber als “Girl”. Ihr Körper entspricht nicht ihrem Bewusstsein. Sie will das ändern, und das ist das Thema das Films. Sie will nicht ein “drittes Gender” sein (was sich viele Transgender-Leute wünschen), sie will einfach Frau sein. In einer wunderbaren Szene am Anfang des Film fragt der Therapeut, ob Lara sich wirklich einen Busen wünschte: Und ihre schüchterne, aber überzeugende Antwort: Ja.
Die Transgender Problematik
Und hier ist bereits das Problem der Transgender-Menschen: Sie folgen den sexuellen Rollenbildern und dementsprechend werten sie ihre natürliche Sexualität um. Was unzählige Generationen von Feministinnen versucht haben, auszulöschen, nämlich genau diese männlichen und weiblichen Stereotypen, diese dienen jetzt dazu, die Gender-Identität festzusetzen.
Aber hier endet die Problematik nicht. Im „Economist“ dieser Woche ist ein langer Artikel den transgender Menschen gewidmet. Die in manchen Ländern bereits Auswüchse zeigt. Auf die Gefahr hin, dass man mich als „genderphob“ bezeichnet: Transgender Menschen sind die Ausnahme und nicht die Regel. Diskriminierung muss vermieden werden, aber man darf transgender auch nicht als „mainstream“ betrachten. Während man Kinder auf dem Internet vor Gewalt und Pornographie zu schützen versucht, sind soziale Medien und chat groups voll von transgender Inhalten. In Grossbritannien gibt es ein Büchlein für Fünfjährige mit dem Titel „the Kids guide to gender identity“ („der Kinderführer zur Geschlechteridentität“, laut Economist). Ärzte, Wissenschafter und Universitätsprofessoren raten zu Vorsicht – oft jedoch anonym, da die Transgender-Aktivisten gegen Transgender-„Skeptiker“, selbst wenn deren Meinung wissenschaftlich fundiert ist, mobben.
Die Fragen, die sich stellen, sind zahlreich, hier nur ein paar davon:
- Kann ein Kind sein Geschlecht bestimmen? Ist das kleine Mädchen, das den Penis seines Bruders sieht und „Das will ich auch haben“ sagt, ein Transgender-Mädchen?
- Können Jugendliche in der Pubertät – in der die Hormone auch ohne transgender Komplikation oft psychologische und physische Probleme verursachen – Entscheidungen treffen, die ihr gesamtes Leben verändern?
- Können Eltern die Verantwortung übernehmen, Minderjährige bei ihren transgender Transitionen zu unterstützen?
Belgien
Belgien ist auf dem Gebiet von LGBT eines der fortschrittlichsten Länder: Seit Anfang 2018 kann ein Erwachsener sein legales Geschlecht (Gender Selbstbestimmung) beantragen, auch ohne medizinische Intervention oder psychologische Beratung.
Minderjährige zwischen 12 und 16 dürfen ihren Vornamen ändern (aber nicht das Geschlecht), 16 und 17 Jährige dürfen, unter Zustimmung von ihren Erziehungsberechtigten, einen Antrag auf Änderung des Geschlechts einreichen. Aber auch das gilt den LGBT Leuten als Diskriminierung. Denn man kann sich nur als weiblich oder männlich fühlen, und der Antrag auf gender Identität kann auch nur einmal erfolgen. Das „dritte Geschlecht“ ist also auch in Belgien noch Utopie.
Ich muss Jasmin leider korrigieren.
Sie hat zwar recht mit den vorhandenen Geschlechtsidentitäten, allerdings fallen diese alle unter den Schirmbegriff Trans* daher ist das was der Autor damit aussagen wollte eigentlich richtig formuliert.
Allerdings weiss ich nicht ob es tatsächlich mehr Trans* Menschen zwischen den binären Geschlechtern gibt.
Kommentar zu Jasmin: Wird sich irgendeiner in diesem Schlamassel noch zurechtfinden können? Die Problematik stellt sich nicht auf der Basis von dem was wir sind (jeder soll sein können was er möchte), sondern der Rechte die wir beantragen, wobei kleinere Minderheiten von sogenannten ‘Aktivisten’ heute die Tendenz haben sich mehr Rechte als der Allgemeinheit (dem ‘mainstream”) zuzusprechen oder zugesprochen bekommen (und oft auf Kosten der Allgemeinheit). Denken wir alle einmal an die BIkers…
Dies führt zu einer regelrechten Balkanisierung unserer Gesellschaft.
” Sie will nicht ein “drittes Gender” sein (was sich viele Transgender-Leute wünschen) ”
das ist leider falsch. Transgender wollen eben kein drittes Gender sein, sie wollen lediglich das gegenteilige Geschlecht sein. Als drittes Gender gelten eher non-binary, a-gender und andere die sich nicht in die beiden kategorien einordnen lassen wollen. Die meisten Transgender wollen, wie gesagt, genau eines der beiden geschlechter sein, nämlich das gegenteilige ihres biologischen geschlechtes.
“Ist das kleine Mädchen, das den Penis seines Bruders sieht und „Das will ich auch haben“ sagt, ein Transgender-Mädchen? ”
auch dies ist falsch. Ein Mädchen/eine Frau, die ein Junge/Mann sein will ist ein Transmann bzw Transjunge, kein Transgender Mädchen oder Transmädchen. Trans* bezeichnet das zielgeschlecht, nicht das ursprungsgeschlecht.