Belgien schien wieder einmal ein einiges, glückliches Land. Die Sonne strahlte von einem wolkenlosen Himmel, als König Philipp am 21. Juli den Eid als siebter König der Belgier ablegte. Der oft so gehemmt scheinende bisherige Thronfolger überraschte Freund und Feind durch seine souveräne Ausstrahlung.
Belgien hat einen neuen König. Zwanzig Jahre später als erwartet bestieg König Philipp den Thron. 1993 war sein kinderloser Onkel König Baudouin gestorben. Damals zog das Königsamt an ihm vorbei: Baudouin hatte zur Verblüffung selbst Eingeweihter seinen Bruder Albert zu seinem Nachfolger bestimmt.
In den vergangenen zwei Jahrzehnten blies Philipp der Wind oft ins Gesicht. Er wirkte unsicher, seine Gestik schien verkrampft. Presse und Öffentlichkeit beobachteten jeden seiner öffentlichen Auftritte und säbelten den Thronfolger häufig gnadenlos nieder. Und ganz Belgien fragte sich besorgt, ob er überhaupt fürs Königsamt geeignet sei.
Am Tag, an dem er im Brüsseler Parlament den Thron bestieg, war ihm keine Unsicherheit mehr anzumerken. Akzentfrei in drei Sprachen leistete er den Eid und hielt seine erste Rede. Als minutenlanger Applaus aufbrandete, fiel der Rest der Spannung von ihm ab. Wir sahen einen lächelnden König. Und auch die neue Königin Mathilde, von der deutschen Presse direkt nach dem feierlichen Akt als „hinreißend“ bezeichnet, strahlte im Kreis ihrer vier Kinder. Vor allem seinem glücklichen Familienleben ist es zu verdanken, dass Philipp in den letzen Jahren nicht vollständig mutlos geworden war.
Die erste Rede als König
In seiner ersten Rede als König zeichnete Philipp die Konturen eines neuen Belgiens. Sie war ein Bekenntnis zu einem Bundesstaat, der aus drei Teilstaaten besteht. „Immer wieder haben wir ein Gleichgewicht zwischen Einheit und Verschiedenheit gefunden. (…) Die jüngste Verfassungsreform übertrug wichtige Staatsaufgaben an die Teilstaaten. (…) Wir müssen die Probleme zusammen lösen, die heterogensten Strömungen miteinander in Übereinstimmung bringen, ohne dass sie an Originalität und Stärke einbüßen.“
Weiter bekannte Philipp sich nachdrücklich zu Europa. Auch sei er stolz darauf, dass Brüssel die Hauptstadt der Europäischen Union ist. Aber er wandte sich auch an jede einzelne Bürgerin und jeden einzelnen Bürger: „Wir leben in einer Zeit der Krise. Ich ermutige jeden, durchzuhalten. Jeder von uns besitzt ein Potenzial, das er nur entfalten muss.“ Mehr noch als bisher wolle er den persönlichen Kontakt mit seinen Untertanen pflegen. Ein deutlicher Hinweis, dass sein volksnaher Vater sein Vorbild bleiben wird.
Separatisten glänzten durch Abwesenheit
Sämtliche Abgeordnete der rechtsradikalen flämischen Partei Vlaams Belang (VB) waren den Feierlichkeiten anlässlich der Abdankung Alberts und der Thronbesteigung Philipps fern geblieben. Die flämisch-nationalistische Partei Neue Flämische Allianz (N-VA) befand sich in einer unangenehmen Zwickmühle: Einerseits ist sie in Flandern an der Regierung beteiligt, andererseits eifert sie für eine Abschaffung des Königshauses, die Verwandlung Belgiens in eine Republik und schließlich für die Unabhängigkeit Flanderns. Die Partei wand sich heraus, indem sie gerade ein Drittel ihrer Abgeordneten nach Brüssel schickte, die weder nach der Eidesleistung noch nach der Thronrede applaudierten.
Junger Beraterstab
Der Wille Alberts und Philipps, die Monarchie und damit Belgien zu modernisieren, kommt auch in der Anstellung eines neuen Beraterstabs für Philipp zum Ausdruck. Kabinettschef Jacques van Ypersele, der bereits unter König Baudouin diente, wird durch den allgemein als außerordentlich fähig eingeschätzten Frans Van Dale ersetzt, bisher rechte Hand von EU-Präsident Herman Van Rompuy. Diplomatischer Berater Philipps wird der erste 47-jährige Pierre Cartuyvels. Auch die anderen Berater sind vergleichsweise jung. Bisher bestand das Beraterteam des belgischen Königs vor allem aus über 60-Jährigen. Und zur neuen Leiterin belgischer Handelsmissionen ins Ausland, bisher die Aufgabe Philipps, wurde die attraktive Prinzessin Astrid berufen, Schwester des Königs.
Rote Augen und Erleichterung
Dass der neue König, seine Familie und seine Entourage alles andere als abgehoben sind, kam bei den Feierlichkeiten am 21. Juli auf anrührende Weise zum Ausdruck. Als Albert nach seiner Rücktrittsrede im Königlichen Palast seinen Sohn spontan umarmte und Königin Paola für ihre Unterstützung in den letzten zwei Jahrzehnten dankte und als Philipp bei seiner Antrittsrede im Parlament Königin Mathilde als eine besonders herzliche Frau pries, bekamen alle Beteiligten rote Augen.
Aber es war ihnen auch eine große Erleichterung anzumerken. Albert und Paola, weil sie nach schlauchenden Jahren in einem Amt, auf das sie nie vorbereitet worden waren, nun ihren Ruhestand und ihre Enkel genießen können. Und Philipp und Mathilde, weil das zwei Jahrzehnte währende Lampenfieber endlich vorbei ist. Auch das lange Warten auf eine Thronbesteigung – möglicherweise im fortgeschrittenen Alter – mag ein Grund für Philipps zunehmende Unsicherheit gewesen sein. Aber er ist weniger eigenbrötlerisch geworden als Prinz Charles. Wir dürfen uns, das verhieß der 21. Juli, auf angenehme Überraschungen freuen.
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