Seit 2006 ist Prof. Dr. Heinz Bouillon als Vertreter der Deutschsprachigen Gemeinschaft (DG) Belgiens im Rat für deutsche Rechtsschreibung. Der Philologe, der an der Université Catholique de Louvain lehrt, kam gerade aus Wien zurück, wo der Rat seine jährlichen Sitzung abhielt. Exklusiv für Belgieninfo.net berichtet er über die Arbeit des Rates, die Entwicklung der neuen Rechtschreibung und die letzten noch offenen Fragen.
„Wie schreibt man das denn jetzt richtig: Majonäse oder Mayonnaise?”. Das ist eine von vielen Fragen, die ein Mitglied des Rats für deutsche Rechtschreibung oft gestellt bekommt. Und dann weiter: „Was macht der Rat denn überhaupt“? Oft müssen wir auch Vorwürfen begegnen: „Warum habt ihr so viele verwirrende Änderungen beschlossen?“. Oder umgekehrt: “Warum ist da nicht mal richtig gesäubert, die Großschreibung abgeschafft worden?” Tun wir uns so schwer mit unserer Rechtschreibung?
Relative Ruhe an der Front
Festzustellen ist, dass seit ein paar Jahren relative Ruhe an der Front eingetreten ist. Als 2004 der Rat für deutsche Rechtschreibung eingesetzt wurde, um die angespannte Situation nach teils gescheiterten Reformversuchen zu entschärfen, standen Dutzende Journalisten vor dem Gebäude des Instituts für deutsche Sprache (IDS) in Mannheim, um die letzten Entscheidungen zu kommentieren. Das Thema war heiß und wurde leidenschaftlich in der Öffentlichkeit debattiert. Am 5. Oktober 2012 trat der Rat abermals in Wien zusammen. Kein Journalist war da, es gab kein Echo in der Presse, Business as usual für den Rat. Aber der Weg in diese Ruhephase war nicht leicht.
Wir alle wissen, dass der Duden bis 1994 das Recht hatte, die Graphie (heute auch: Grafie) der deutschen Wörter maßgebend zu bestimmen. Ab 1850 wollten die einzelnen Behörden auf deutschem Boden ihre eigene Rechtschreibung an den Schulen einführen. Es gelang Konrad Duden 1880 dennoch, eine Synthese aus den preußischen und bayrischen Usancen zu erstellen und 1902 wurde sein Wörterbuch vom damaligen Bundesrat als verbindlich erklärt.
Verwirrendes Hin und Her
Ende der 1980er Jahre wurde der Beschluss gefasst, diese bestehende Rechtschreibung neu zu regeln. Sie sollte den letzten Entwicklungen in der Sprachbetrachtung angepasst werden. Nach heftigen Diskussionen einigten sich die deutschen, österreichischen und schweizerischen Behörden im Beisein von Beobachtern aus Belgien, Dänemark, Südtirol, Liechtenstein, Luxemburg, Rumänien und Ungarn auf eine Neuregelung, die 1994 in Kraft treten sollte. Verschiedene politische Instanzen hatten somit die Aufgabe des Duden übernommen.
Die orthographischen Vorschläge wurden allerdings heftig kritisiert. Es kam zu einem ein verwirrenden Hin und Her; einige Zeitungen schrieben nach der neuen Rechtschreibung, andere blieben bei der alten, wieder andere führten sie ein und schafften sie kurz darauf wieder ab. Auch politisch konnten zwei Bundesländer, in deren Befugnis die Regelung der Rechtschreibung in Deutschland ja eigentlich liegt, diese Version nicht durchsetzen und so steckten die Reformer in einer Sackgasse.
„Reform der Reform“
Dies führte 2004 zur Einsetzung des Rats für deutsche Rechtschreibung, der eine „Reform der Reform” durchführen sollte. Das gelang 2006 mit einer Neuregelung, die in Deutschland, Österreich, die Schweiz, Südtirol, Liechtenstein und der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens verabschiedet wurde, wobei eine Übergangszeit von ca. einem Jahr vorgesehen war. Diese amtliche Regelung betrifft die Laut-Buchstaben-Zuordnungen, die Getrennt- und Zusammenschreibung, die Groß- und Kleinschreibung und die Worttrennung am Zeilenende. Im Wörterverzeichnis des Rats wurden deshalb viele Varianten aufgenommen, da mancherorts gewisse Schreibweisen bevorzugt wurden. Diese Varianten haben einige Probleme gelöst.
Tatsächlich ist seitdem Ruhe eingetreten. Bis zum Ende der ersten Amtszeit 2010 gab sich der Rat die Aufgabe, die Anwendung der neuen Schreibweise zu beobachten. Auch in der zweiten Amtszeit ist dies die Hauptaufgabe des Rates.
Breite Akzeptanz
Was kann man heute feststellen? Zuerst einmal, dass klar formulierte Neuregelungen in der Schreibung nach vier Jahren in vielen Fällen von über 90 Prozent der Schreiber angenommen worden sind. Die drei riesigen Korpora von Duden, Wahrig und vom IDS lassen deutlich diese breite Akzeptanz erkennen. So setzt sich z.B. „Foto“ gegen „Photo“ durch. Bei forcierter Integration („Majonäse”) stellt man allerdings eine starke Ablehnung der Schreibgemeinschaft fest. In vielen Fällen entscheiden sich die Schreiber noch nicht klar, wie zum Beispiel zwischen der neuen – richtigen – Form „leidtun“ und der alten Form „Leid tun“.
Es gibt noch Problemzonen
Ferner sind Hausorthografien entstanden, die u.a. den Variantengebrauch in einzelnen Zeitungsredaktionen regeln. Der Rat beobachtet derartige Schreibentwicklungen. Die amtliche Regelung betrifft amtliche Instanzen und Schulen, jedoch nicht den privaten Sprachgebrauch. Weitere Beobachtungen werden dem Rat gegen Ende seiner zweiten Amtszeit die Gelegenheit geben, die Varianten, die sich im öffentlichen Gebrauch und in den Schulen durchgesetzt haben, zu identifizieren. Ferner sollte ebenfalls Klarheit in den verbleibenden Problemzonen den Regelformulierungen geschaffen werden.
Auch wenn heute nur noch wenig über die Arbeit des Rats berichtet wird, bleibt seine Aufgabe eine internationale. Die einheitliche Bestimmung, zumindest in der Rechtschreibung, verleiht dem deutschen Sprachgebrauch über nationale Grenzen hinaus eine relative Übersichtlichkeit.
Autor: Prof. Dr. Heinz Bouillon
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