Von Ferdinand Dupuis-Panther
Junge Talente und arrivierte Musiker der belgischen Jazzszene teilten sich das Podium im De Zustertuin in Damme, einem Städtchen, das vor allem durch die Geschichte eines Till Eulenspiegels bekannt geworden ist. Ohne zahlreiche Sponsoren wäre dieses Festival abseits einer Großstadt wie Gent oder Antwerpen nie möglich geworden. 600 Besucher während des zweitägigen Festivals erfreuten die Veranstalter, die schon mal eine dritte Ausgabe von September Jazz für 2024 ankündigten
Lyrisches war im Spiel
Ein Duo ist ohnehin schon eine sehr intime Formation, aber dann noch eine harmonische Verbindung von Piano und Saxofon zu schaffen, ist gewiss eine Herausforderung. Saxofonisten sind ja nicht gerade für ein zurückhaltendes Spiel bekannt. Doch Erik Bogaerts verstand es, seinen Holzbläser als Weichzeichner einzubringen. Samten waren die Klänge, die gleichsam dahin schwebten. Das zurückhaltende Spiel von Bogaerts kam der lyrischen Ausprägung der von Bogaerts und Harrison Steingueldoir komponierten Stücke sehr entgegen. Musikalischen Schleierwolken glich die Musik, die wir hörten. Vorgestellt wurden die Stücke der jüngsten Albumveröffentlichung „La Mer Vide“.
Szenenwechsel und Vorhang
… auf für das Trio Nathalie Loriers (Piano), Tineke Postma (Alt- und Sopransaxofon) sowie Nicolas Thys (Kontrabass). Nicht nur das erste, sondern auch weitere Stücke des Konzertabends entstammten dem Album „Le Temps Retrouvé“, so „Zéphirs“ und das folgende „After“. Leicht getragen war dieses Stück. Ab und an erlebten wir eine Couverture des Klangs, wenn Tineke Postma ihr Sopransaxofon einbrachte. Der Bass bildete den Ruhepol im musikalischen Geschehen.
Mit Verweis auf Lee Konitz kündigte Loriers das dritte Stück an. Dabei erschien dann „Everything we need“ wie eine Hommage an das legendäre American Songbook. Einige der Titel, die gespielt wurden, verwiesen auf die Pandemie, die jeder von uns erlebt hat, so auch „Rebirth“. Recht bewegend war der Moment, als Nathalie Loriers das Stück „Shanti“ ankündigte. Diese Komposition entstand als Hommage an Rik Bevernage, der ganz maßgeblich die Arbeit von De Werf (Brügge) sowie des Labels De Werf bestimmt hatte. Und auch Jazz Brugge war ein Baby, das Rik mit zur Welt gebracht hatte. Darüber hinaus verdanken zahlreiche belgische Musiker einen Teil ihrer Karriere Rik Bevernage, der 2018 den Kampf gegen sein Krebsleiden verloren hat.
Zwischen Marching Band, Schunkelei und …
Am Ende des Abends trat der Drummer Guy Salamon mit seiner Band auf. Salamon, aus Israel stammend und in Amsterdam lebend, betrat mit einem Septett die Bühne. Und was erwartete die Zuhörer dann: Entertainment, Wortwitz und Klangspaß, Musik mit einem Augenzwinkern, durchaus auch ganz selbstverständlich Genregrenzen durchbrechend und ironisierend. Gekonnt verband die Band experimentelle Klanggebilde mit Musik im Duktus von Tanzmusik. Dabei meinte man Ohrwürmer wahrzunehmen, und im nächsten Moment verfiel die Band oder einzelne Solisten in Jazz vom Feinsten. So schien der Gitarrist Teis Semey durchaus an die Tradition von Joe Pass und Jim Hall anzuknüpfen. Andererseits vernahm man von ihm auch „Sphärenklang“ und Anmutungen von Rockabilly und Blue Grass in einem weiteren Stück während des Konzerts. Klangrausch mischte sich mit fein dosierten Soli. Und all das geschah unter der Ägide des Schlagzeugers, der auch die feinsinnig abgestuften Trommelschläge beherrschte, mit Sticks, Handflächen und Schlegeln.
Postbop und mehr …
Den Auftakt machte dabei der Saxofonist Bart Defoort mit seinem Quartett. Defoort ist unter anderem Mitglied des Brussels Jazz Orchestra, einer sehr angesehenen Großformation, die schon weltweit, vor allem aber im Mutterland des Jazz, den USA, aufgetreten ist. Defoort pflegt einen sehr zurückgenommenen, lyrisch anmutenden Stil und nicht das marktschreierische Geblase einiger Saxofonisten, die sich in Klangrausch versteigen. Ihm zur Seite stand der niederländische Drummer Sebastiaan de Krom, der die Zuhörer durch seine furiosen Schlagzeugsoli begeisterte. Das Quartett vervollständigten der Pianist Ron van Rossum und der Bassist Sal La Rocca.
Schon bei den ersten Takten wurde man in die Jazzwelt von Bop und Modern Jazz versetzt. Und es swingte. Der Fokus der Musik lag dabei durchaus bei Bart Defoort, dessen Spiel nicht spitzzüngig oder überdreht daher kam, sondern streckenweise sonor und auch ein wenig sanftmütig. Locker aus den Handgelenken setzte der Drummer de Krom seine Sticks auf die Felle, ließ sie zwischen den Toms und Becken hin- und herwandern.
Wie gesagt, vorgetragen wurden Kompositionen der Bandmitglieder, so auch von Sal La Rocca, der für das zweite Stück des Abends verantwortlich zeichnete. Das hieß nun aber nicht, das wir mannigfaltige Basssoli zu hören bekamen. Es war ja kein La Rocca-Soloabend, dem wir beiwohnten. Mit der „Inspiration“ von van Rossum ging es weiter. Aus dem Quartett wurde zeitweilig ein Trio, ohne Beteiligung des Saxofonisten. Doch als dieser sich das Klangwort nahm, meinte man gar, an die Adderley-Brüder denken zu müssen. Es kam wohl nicht von Ungefähr, dass das Quartett „Blues in Blueprint“ (Duke Ellington) ins Programm aufgenommen hatte. Ja, hier und da bekam man den Blues.
The next generation
Der aus Brügge stammende Drummer Kobe Gregoir zeichnete nicht nur als Mit-Organisator des Festivals verantwortlich, sondern stellte auch sein Trio im zweiten Konzert des Abends vor. Als Gast hatte er den in der Provinz Limburg lebenden Trompeter Carlo Nardozza eingeladen, dessen klares und musikalisch ähnlich wie der norwegische Trompeter Mathias Eick die unverstellte Weite einfangendes Spiel überaus bestechend war.
Doch wer stand noch auf der Bühne? Zunächst einmal ist der aus Süditalien stammende Gitarrist Enrico Le Noci zu nennen, bei dessen Spiel man hier und da meinte, er habe sich einiges von Pat Metheney abgeschaut. Zudem erlebten wir den Bassisten Ignacio Santoro, der ursprünglich aus Buenos Aires (Argentinien) stammt.
Den Anfang machte die Komposition „Tunisia“ aus der Feder von Nardozza. Nein, orientalische Beimischungen gab es nicht. Eher „besang“ der Trompeter die Weite, wie man sie in der Wüste erleben kann. Lodernde Feuer entfachte der Gitarrist mit seinem Saitenspiel, dabei auch hier und da die Welt der Rockmusik streifend. Melodischer Wellenschlag folgte auf Wellenschlag, dank sei Carlo Nardozza.
Der Bassist Santoro steuerte „3kl“ („Three kind of loneliness“) zum Konzertabend bei. Ein feiner Nieselregen des Klangs ging auf die Zuhörer nieder, dank an Le Noci. Beeindruckend war das Solo des Bassisten, der von sehr zurückgenommenem Drumming begleitet wurde. Dieses eher verhaltene Drumming von Gregoir war auch in anderen Stücken zu erleben.
Schließlich stellte Carlo Nardozza aus seinem Album „Duology“ seinen „Walzer der Schnecken“ vor. Man muss schon viel Fantasie besitzen, um sich Schnecken bei Drehungen links und rechts und beim 1,2,3-Takt vorzustellen. Wenn der Berichterstatter es richtig verstanden hat, dann lautete der Titel der nachfolgenden Komposition „Wild Dance“. Jedenfalls begeisterte dieses Stück durch das afro-kubanische Flair, das es verbreitete. Bisweilen schien man zu meinen, Carlo Santana stehe auf der Bühne von De Zustertuin, oder?
80 Jahre und ein sensibles Saitenspiel
Obgleich Philip Catherine hier und da mal der rote Faden der Ansagen verloren ging und auch das Wirrwarr der fliegenden Notenblätter für zeitweilige Unordnung sorgte, so muss betont werden, dass sein Vortrag technisch brillant war. Gewiss hätte das eine oder andere Späßchen über sich selbst aus Sicht des Berichterstatters nicht sein müssen, aber…
Erst im Verlauf des Konzerts schien Catherine wirklich in seiner Musik angekommen zu sein, schien der Saitenfluss überaus präsent und der Gitarrist ganz in die Klangwelten seines Instruments einzutauchen. Unterstützt wurde er dabei von dem aus Brindisi stammenden Pianisten Nicola Andrioli und dem Bassisten Bart De Nolf, der unter anderem mit Toots Thielemans gespielt hat. Wie eine Hymne auf den sommerlichen September klang das erste Stück.
Wir hörten „Seventies“ und als Hommage an Django Reinhardt „Nuages“, von Catherine weich gezeichnet und überhaupt nicht mit den schnellen Griffen und der charakteristischen Rhythmik von Reinhardt versehen. Es waren die leisen Töne, die bestachen und die die Zuhörer in den Bann zogen. Andrioli trug mit „Mare di notte“ zum Gelingen des Konzertabends bei. Dunkel war es da bereits, aber das Meer doch in weiter Entfernung. Selbst das im Wind sich bewegende Wasser des Kanals von Damme lag in einiger Entfernung.
Catherines Mutter ist „Letter from my mother“ gewidmet, wie der Gitarrist in einer Ansage vermittelte. Der Zuhörer konnte meinen, Catherine wiederhole Zeile für Zeile den Brief der Mutter, dabei durchaus zwischen Balladenhaftem und Chanson changierend. Sehr persönlich war auch das Stück, dass er für seinen 13-jährigen Enkel Clement geschrieben hat und beim Konzert vorstellte. Dabei erwies sich der Gitarrist als ein Erzähler auf den Gitarrensaiten.
© Fotos Ferdinand Dupuis-Panther
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