„Shooting Range. Fotografie an der Front?“ Noch bis zum 11. November 2014 kann man diese hervorragend zusammengestellte Ausstellung im FotoMuseum Provincie Antwerpen sehen.„Shooting Range“ schärft m. E. den Blick für vorherrschende Kriegsberichterstattung und Propaganda. Der gewählte Ausstellungstitel bezeichnet nicht nur die Kampflinie im klassischen Sinne, sondern auch im übertragenen Sinne diejenige, von der aus Soldaten „Schnappschüsse“ (sic) machen konnten. Zugleich gerieten die Fotografen, meist Soldaten und keine professionellen Kriegsreporter, in die Schusslinie, im wahrsten Sinne des Wortes.
Der Besucher der Schau darf keine Ausstellung zu einzelnen Kriegshandlungen erwarten, sondern die Darstellung des Kriegs in der damaligen Fotografie, die noch nicht auf Photoshop und andere manipulative Bildbearbeitungsformate zurückgreifen konnte.
Sollen wir den Bildern glauben?
Die Schau wirft eine damals wie heute hochaktuelle Frage auf, erinnern wir uns doch noch genau an die Bildmanipulationen im Kontext des Golf- und des Irakkrieges, als Fotojournalisten und Auslandsberichterstatter eingebettet in die jeweiligen militärischen Operationen der US-amerikanischen Streitkräfte waren. Diese und nur diese bestimmten, welche Bilder überhaupt die Öffentlichkeit zu Gesicht bekam. Nicht viel anders war es, wie wir beim Besuch erfahren, im Ersten Weltkrieg.
Soldaten-Fotografen an der Front
Anfänglich nahmen Soldaten noch ihre privaten Kameras mit an die Front und fotografierten, was ihnen vor die Linse kam. Doch alsbald wurde dies verboten, und die Zensur griff durch. Propaganda zur Zermürbung des Gegners stand hoch im Kurs. Aufnahmen von hingemetzelten Soldaten, von Leichenbergen oder von Leichen in den Drahtverhauen der Front sollten möglichst niemals veröffentlicht werden. Doch es gab Ausnahmen: So veröffentlichte Le Miroir genau solche Bilder des Kriegsgräuels, wenn auch Aufnahmen von Verstümmelten und Verunstalteten nicht veröffentlicht wurden. Die Kriegswilligkeit wäre sicherlich gänzlich unterminiert worden, und der Aufstand der Soldaten und Matrosen gegen den Kriegswahnsinn und die Despoten der damaligen Zeit hätte nicht erst am Ende des Ersten Weltkriegs stattgefunden.
Soldaten-Fotografen schossen Fotos von ihrem Alltag, u. a. von der Wache mit und ohne Gasmasken. Bilder von Toten aus den eigenen Reihen wurden unterdrückt. Gezeigt wurde aber die Zerstörung der Dörfer und der Städte. Aus der Ferne wurden Geschützeinschläge fotografiert. Die Opfer muss man sich beim Betrachten mitdenken. Bisweilen scheinen die Fotos wie das einer Gruppe von Soldaten vor einer Ruinenkulisse sehr gestellt.
Dass es im Krieg sehr wohl Unterschiede zwischen den Dienstgraden gab, zeigt eine Publikation von Ernst Friedrich aus dem Jahr 1929. Gegenübergestellt sind in dieser Veröffentlichung u. a. Aufnahmen abgeschlachteter niedriger Dienstgrade und der Leichenzug eines in der Etappe verstorbenen Generals. Fazit: Die kleinen Leute hielten den Kopf hin – und die anderen …
Für die Daheimgebliebenen
Rührend-schwülstig sind die an die Daheimgebliebenen verschickten Bildpostkarten mit aufgedruckten Versen wie „Unsere Väter hat man fortgenommen, wer weiß, ob sie wiederkommen“ und dazu gibt es eine Gruppe junger Bengel, die Krieg spielen. Man sieht aber auch Kussszenen als Motiv und mittels Fotomontage findet auch die Familie wieder zusammen, obgleich der Vater an der Front ist und wahrscheinlich auch dort geblieben ist. Auch „patriotische Symbole“ wie die Burg Stolzenfels schmücken Kriegspostkarten, auf denen Abschiedsszenen zu sehen sind. Dabei ist der Tod, so der nachstehende Vers, stets präsent: „Und sag ihr, daß ich treu – ihr treu gestorben sei …“. Selbst Gott wird für den „gerechten Krieg“ bemüht: „Wir loben Dich oben Du Lenker der Schlachten …“
Ein großer Teil der präsentierten Aufnahmen erscheint uns heute wie ein Tagebuchschatz, den es zu bewahren gilt. Wir sehen Brieftauben, die bei De Panne mit Meldungen über die Gefechtssituation losgeschickt werden. Wir sehen Soldaten, die am Strand von Nieuwpoort marschieren oder wir betrachten Soldaten, die mit Granatenwürfen den Gegner zu beeindrucken suchen. Fotos von Truppenbesuchen wie der des Maharadschas von Patiala – schließlich standen auch indische Truppen an der belgischen Ijzerlinie (!) – wurden für die Nachwelt im Bild festgehalten. Marschall Foch und König Albert I. ließen sich an der belgischen Front sehen, und eine Kamera war auch dabei.
Echte oder manipulierte Bilder
Mit Erstaunen liest man, dass sich 25000 Glasnegative mit Aufnahmen aus dem Ersten Weltkrieg im Bestand des Belgischen Armeemuseums in Brüssel befinden. Aus diesem Fundus wurden 365 für eine Veröffentlichung mit dem Titel „Niemals vergessen“ ausgewählt. Dabei muss man wissen, dass Aufnahmen von Kampfhandlungen wegen der begrenzten Kameratechnik nicht darunter sind. Zudem hätten die offiziellen Kriegsberichterstatter, die ab 1916 eingesetzt wurden, um Leib und Leben fürchten müssen. Ivor Castle, ein kanadischer Kriegsfotograf, stellte daher solche Kampfhandlungen nach. Mit derartigen Bildern wurde das Bild vom Krieg maßgeblich mitbestimmt. Man darf daher Zweifel daran hegen, ob der kanadische Angriff von Passendaele, den Castle fotografierte und am 18.11.1917 in Le Miroir veröffentlichte, wirklich so stattgefunden hat oder einer Bildmanipulation entstammte.
Von einer der blutigsten Schlachten, der Schlacht an der Somme 1916 – und das ist bezeichnend – sind nur eine Handvoll Bilder bekannt, die allerdings nicht den unmittelbaren Angriff zeigen und auch nicht die 60000 Männer, die für wenige Kilometer Landgewinn ihr Leben ließen.
Teilweise wurden Kriegsfotos auch erst nach dem Ende des Kriegs publiziert, so 1926 von Hermann Rex in „Der Weltkrieg in seiner rauen Wirklichkeit“. Zu sehen sind u. a. Flammenwerfer in Aktion ebenso wie die Sturmtruppen an der Westfront. Zusammengeschossen liegen englische Soldaten in den Drahtverhauen vor den Schützengräben.
Und was nehmen wir für unsere Gegenwart daraus mit, die von Kriegen geprägt ist, nicht nur im fernen Irak und Syrien, sondern ganz in der Nähe am Ostrand Europas? Wir sollten den Bildern nicht trauen, nicht nur als Lehre aus den zensierten Bildern des Ersten Weltkriegs, sondern auch der aktuellen Kriege.
Informationen
FoMu – FotoMuseum Provincie Antwerpen
Waalsekaai 47
2000 Antwerpen
http://www.fotomuseum.be/de.html
info@fomu.be
Tel +32 (0)3 242 93 00
ÖFFNUNGSZEITEN
Dienstag bis Sonntag durchgehend geöffnet von 10 bis 18 Uhr.
Montags geschlossen, Feiertage ausgenommen (21. April und 21. Juli).
Am 24. und 31. Dezember schließt das Museum um 14 Uhr.
Text: Ferdinand Dupuis-Panther
Beiträge und Meinungen