Von Tom Weingärtner.
Es ist nicht erstaunlich, dass die in Belgien lebenden Franzosen im ersten Wahlgang überwiegend für Emmanuel Macron gestimmt haben. 35 Prozent entschieden sich für den Newcomer in der französischen Parteienlandschaft, zu Hause waren es nur 24 Prozent. Macron ist der einzige Kandidat, der die EU, von der die meisten seiner Landsleute in Brüssel leben, weitgehend unversehrt erhalten will. Erstaunlich ist indes, dass sich noch mehr Franzosen, die in Belgien leben und als direkte oder indirekte Nutznießer eines vereinten Europas gelten können, für Kandidaten entschieden haben, die der EU in ihrer heutigen Form den Garaus machen wollen: Jean-Luc Melanchon (20,4), Benoit Hamon (9,5) und Marine Le Pen (7,3) erhielten zusammen mehr als 37 Prozent der Stimmen.
Früher orientierte man sich in der politischen Landschaft der Grande Nation zwischen rechts und links: rechts standen die große und kleine Bourgeoisie und die Landwirte, links versuchte das Proletariat den Anschluss an die Wohlstandsgesellschaft zu finden. Inzwischen verläuft die Trennlinie zwischen den Franzosen, die weltoffen und pro-europäisch sind und denjenigen, die sich gegenüber dem Rest der Welt abschotten wollen. Sie suchen ihr Heil in der Illusion, dann könnte alles wieder so werden wie vor 50 Jahren. Beide Lager rekrutieren sich sowohl aus den Anhängern der ehemaligen Linken wie der Konservativen. Die Reaktionen hierzulande auf den Wahlausgang zeigen, dass diese Alternative auch in der belgischen Politik an Bedeutung gewinnt. Sie hat auf den Ausgang der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen im südlichen Nachbarland überwiegend mit Erleichterung reagiert.
Charles Michel ist erleichtert
Nur wenige Minuten nach der ersten Hochrechnung gratulierte Premierminister Charles Michel dem Sieger des ersten Wahlgangs per Twitter. Die meisten belgischen Politiker hoffen, dass sich Macron gegenüber Marine Le Pen behauptet und der EU eine akute Krise erspart bleibt.
Mit Begeisterung sehen vor allem die Liberalen einem Sieg Macrons entgegen. „Emmanuel Macron ist weder rechts noch links und verfolgt einen liberalen Kurs in der Wirtschaftspolitik“, sagt MR-Chef Olivier Chastel. Und der Fraktionschef der OpenVLD, Bart Somers, ist froh, dass Macrons den ersten Wahlgang mit einem „pro-europäischen, optimistischen und verbindenden Projekt“ gewonnen hat. Für den Chef der humanistischen CDH, Benoit Lutgen, zeigt sein Sieg: „Rechts und links – das ist überholt.“ Und Olivier Maingain, Defi, sieht darin sogar „eine Hoffnung für ganz Europa“.
Das kleinere Übel
Nicht wenige belgische Politiker allerdings sehen in dem ehemaligen Investmentbanker nur das kleinere Übel. PS-Chef Elio di Rupo, der bis zum 23. April Benoit Hamon unterstützte, fordert die Franzosen auf, ihre Stimme am kommenden Sonntag Macron zu geben und damit „gegen die extreme Rechte von Marine Le Pen“ zu stimmen. Ecolo will dem rechtsextremen Front National zwar ebenfalls „den Weg versperren“, möchte dafür aber nicht zur Stimmabgabe für Macron aufrufen. Die belgischen Umweltfreunde wollen die „Macronisten“ bei den Parlamentswahlen im Juni weiter bekämpfen.
Auch die Linksspartei PTB will von einem Schulterschluss(front republicain) gegen Rechts nichts wissen. Man wünsche sich zwar, dass am Sonntag niemand für Marine Le Pen stimme, sagt Parteisprecher Germain Mugemangango. Entscheidend sei jedoch, dass Jean-Luc Melanchon seinen Erfolg aus dem ersten Wahlgang „gegen die Politik Macrons der totalitären Austerität“ bei den Parlamentswahlen ausbauen könne.
Populisten – auch in Belgien
Aber nicht alle Belgier wollen einen Sieg des Front National verhindern. Da sind natürlich die Freunde vom Vlaams Belang (VB), die Marine Le Pen schon am Abend des ersten Wahlgangs gratuliert haben. So weit wollen die flämischen Nationalisten von der N-VA nicht gehen, ihr Fraktionsvorsitzender Peter de Roover macht aber kein Geheimnis daraus, dass seine Partei „von Emmanuel Macron nicht begeistert ist“. Die N-VA möchte die Wähler, die sie in den letzten Jahren vom VB gewonnen hat, nicht durch Kritik an den französischen Nationalisten und ihren populistischen Parolen verprellen.
Denn auch in Belgien versprechen sich die Politiker am rechten und am linken Ende des politischen Spektrums Zulauf durch die Kritik an der EU und der Globalisierung. Le Pen und Melanchon sind die Vorbilder, denen sie dabei nacheifern wollen.
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