Von Michael Stabenow
Ich gebe es zu: Ich meckere gerne herum, wenn mir etwas nicht in den Kram passt. Fast umgehend wollte ich neulich in den Chor der Kritiker einstimmen, die sich über die neuen Fahrpläne der flämischen Busgesellschaft „De Lijn“ grün und blau ärgern. Auch ich dachte: Wie kann man so zynisch sein, die Vorzüge des Bus- und Straßenbahnverkehrs preisen und gleichzeitig ein Sechstel der knapp 20000 Haltestellen streichen? Seit Jahresbeginn bin zumindest ich eines Besseren belehrt worden.
Ja, es gibt etliche Verlierer, die den einstigen Haltestellen und den Zeiten nachtrauern, als die Busse der weiß-gelben „De Lijn“-Flotte ihre Wohnviertel bevölkerten. Aber es gibt auch Gewinner – und ich gehöre dazu. Ein paar Schritte von meiner Haustüre in Overijse entfernt hält jetzt ein Bus der neuen Express-Linie X77. Fahrplanmäßig bringt er mich über die Autobahn E411 in 15 Minuten zur Metro-Endstation Herrmann-Debroux in Auderghem – meistens noch etwas schneller. Von dort geht es dann – im Regelfall – ruck zuck mit der Linie 5 weiter in Richtung der Brüsseler Innenstadt.
Freie Fahrt für freie Busfahrer und ihre freien Passagiere! Mit nicht allzu viel Mitleid passiere ich nun die im Stau mehr oder weniger geduldig ausharrenden Autofahrer. Vor wenigen Jahren steckte ich selbst noch häufig morgens am Carrefour Léonard fest. Nicht selten verging mehr als eine Stunde, bis ich nicht gerade bester Dinge auf den Hinterhof unseres Bürogebäudes in der Rue Belliard einbog.
Ja, ich gebe es ebenfalls zu: Den oft übervollen Linienbus, der vom Zentrum von Overijse in Richtung Brüssel auf der Landstraße oft im Schneckentempo vor sich hin tuckert, habe ich gerne gemieden. Auch den Schlenker über La Hulpe und von dort mit der oft unpünktlichen Eisenbahn Richtung Hauptstadt habe ich mir ziemlich selten angetan. Lieber schlich ich, wie auch heute noch viele Zeitgenossen, in meinem eigenen, nicht sehr goldenen Pkw-Käfig dahin.
Ja, es gab Zeiten, da fuhr ein De Lijn-Bus kurz vor Mitternacht um 23:40 Uhr vom Rond-Point Schuman aus nach Overijse. Das war einmal. Bis vor kurzem musste, wer es mit dem öffentlichen Nahverkehr in den Vorort schaffen wollte, spätestens den letzten Bus am U-Bahnhof Herrmann-Debroux um 22:20 Uhr erwischen. Theater-, Konzert- ohne Restaurantbesuch – ohne Auto war es kaum zu schaffen. Neuerdings fährt der letzte „De Lijn“-Bus um 0:20 Uhr los.
Auch wenn ich mich jetzt nicht unbedingt Abend für Abend in Brüssel tummele und danach zu mitternächtlicher Stunde im Bus sitze – es ist ein gutes Gefühl zu wissen, dass ich es könnte. Finden Sie nicht auch? Ja, ich zähle zu den Gewinnern. Und das ist gut so! Obwohl: Muss es eigentlich – auch bei „De Lijn“ – Gewinner und Verlierer geben? Immerhin hat die „De Lijn“-Generaldirektorin Ann Schoups jetzt im Fernsehsender VRT zugesichert, die neuen Pläne auf Schwächen hin zu überprüfen – freilich ergebnisoffen, wie man auf Neudeutsch sagt.
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