Herentals, nie gehört, wird sich der eine oder andere denken. Ja, es gibt Städte in Flandern, die stehen im Schatten von Antwerpen, Gent oder Brügge. Sie kann man nur auf den zweiten Blick entdecken. Dabei wird man überrascht sein zu erfahren, dass die Tuchhalle und der Glockenturm zum UNESCO-Weltkulturerbe gehören. Doch ehe wir ins Stadtzentrum gelangen, fällt unser Blick auf die St. Waldetrudiskerk mit ihrem spitzen Turmhelm auf dem viereckigen Turmstumpf. Dieser Sakralbau steht im alten Stadtkern von Herentals, von wo aus wir die „Hauptstadt der Kempen“ erkunden.
Ungewöhnlich ist bei diesem Kirchenbau die Lage des Turms zwischen Kirchenschiff und Chor, eigentlich die Position eines Vierungsturms. Zu erklären ist dieser Umstand damit, dass Turm und Querschiff Teile der ursprünglichen Kirche des 14. Jahrhunderts sind. Große Teile der heutigen Kirche wurden erst in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts erbaut, die Sakristei sogar erst 1785. Ohne Frage jedoch ist dieser Sakralbau ein Kind der Hochgotik mit Rundsäulen, aufgesetzten Spitzbögen und sogenanntem Blindtriforium im Inneren.
Jesus verurteilt die Scheinheiligkeit der Pharisäer
Ins Auge springen die zahlreichen Ölgemälde im Inneren, sodass man sich in diesem Sakralbau in die Zeit des 16. und 17. Jahrhunderts zurückversetzt fühlt. Zu sehen sind die „Geißelung von Christus“, gemalt von Artus de Bruyn, und das Werk „Der verlorene Sohn“ von Jan Erasmus Quellinus. Dass man auch ein Ölgemälde des sehr bekannten Barockmalers Jacob Jordaens in der Kirche zu Gesicht bekommt, ist gewiss eine Überraschung. Es handelt sich dabei um das Werk „Jesus verurteilt die Scheinheiligkeit der Pharisäer“. Das Thema des verlorenen Sohns griff auch Pieter Jozef Verhagen aus, wie wir beim Rundgang durch die „Bildergalerie“ bemerken. Obendrein gibt es im Kirchenschiff auch einige mittelalterliche Freskenreste zu bestaunen.
Zu den Kirchenschätzen zählt gewiss der Taufstein aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Der Deckel der Taufe ist aus Kupfer getrieben worden und datiert auf das 17. Jahrhundert. Die Kirchenfenster sind, wie man vorhandenen Jahreszahlen entnehmen kann, erst 1916 eingefügt worden und typisches Beispiel für neogotische Glasmalerei.
Wer sich für Sakralkunst interessiert, der mag auch die Schatzkammer besuchen. In dieser sind eine silberne Turm-Monstrans aus dem 17. Jahrhundert und zwei Kandelaber aus Silber zu bestaunen. Außerdem ist eine aus Alabaster gefertigte Kleinplastik der heiligen Katharina von Alexandria zu sehen. Schließlich bewahrt man in der Schatzkammer zahlreiche kostbare Kelche und polychromierte Schnitzarbeiten wie die Figur des hl. Josef auf.
Der Glockenturm – ein Weltkulturerbe
Nach dem Verlassen der Kirche begeben wir uns zum Marktplatz der Stadt, wo sich auch die alte Tuchhalle mit dem Glockenturm befindet. Was wir heute sehen, ist jedoch keineswegs die ursprüngliche im frühen 15. Jahrhundert erbaute Tuchhalle, sondern ein Neubau aus dem 16. Jahrhundert. Dieser wurde infolge des verheerenden Stadtbrandes von 1532 erforderlich. Die Funktion als Tuchhalle hatte sich längst überlebt, sodass die Stadtväter ein eindrucksvolles Rathaus aus Sandstein erbauen ließen. Gleichzeitig wurde in Backstein der achteckige Glockenturm errichtet, der 1541 sein Glockenspiel erhielt. Vor dem imposanten Rathaus mit seinen Ecktürmchen erblicken wir das Denkmal für die Helden des Brabanter Bauernkrieges.
Rund um das alte Rathaus pulsiert das Leben, auch und gerade wenn im Sommer die Freunde des Rock ‘n Rolls und von amerikanischen Oldtimern in der Stadt das Sagen haben. Dann werden die blank geputzten Schätzchen wie ein alter Opel oder ein Chrysler bestaunt. Die Damen lassen sich Hochfrisuren machen. Pünktchenkleider wechseln ebenso die Besitzerinnen wie andere mit grellen Obst- und Blumenmustern.
Beginen leben hier schon lange nicht mehr
Nächste Station auf unserem Stadtbummel ist der geschlossene Hofbeginenhof, der im 13. Jahrhundert gestiftet wurde und zu einem der bedeutenden im damaligen Herzogtum von Brabant gehörte. Der sogenannte alte Beginenhof musste jedoch 1578 Platz für einen neuen Beginenhof machen. Zu diesem gehören die Beginenhofkirche, die der hl. Katharina geweiht wurde, ein Konvent und das Hospital sowie zwei Portaltore, die den Zugang zum Beginenhof ermöglichen. Die überwiegende Zahl der Gebäude ist in Backstein errichtet worden. Allerdings findet man hier und da „Specklagen“ aus hellem Stein und sandsteinerne Fensterlaibungen. In dem im Ursprungszustand erhalten gebliebenen Hospital kümmerte man sich einst um arme, kranke Beginen. Beginen leben nicht mehr in der beschaulichen Hofanlage, sondern Privatpersonen, die Erbpächter sind und den denkmalsgerechten Erhalt der Häuser sicherstellen müssen.
Beinahe an der nördlichen Stadtgrenze stoßen wir auf das sogenannte Alte Gasthaus, das im 13. Jahrhundert gestiftet wurde. Ursprünglich handelte es sich tatsächlich, um einen Gasthof, der jedoch im Verlauf der Geschichte zu einem Hospital umgestaltet wurde. Von diesem alten Hospital sind noch vier Bauwerke aus der Zeit des 16. bis 18. Jahrhunderts erhalten, darunter der Eingangsbau, die Kapelle, die Scheune und das alte Kloster.
Ein verwunschener Garten
Gehen wir weiter, so gelangen wir zur Domäne Le Paige mit einem Arboretum, einer Anlage, die einem verwunschenen Park mit 70 verschiedenen Baumarten gleicht. Das schlossähnliche Herrenhaus, das zur Domäne gehört – es ist das Schloss „Ter Vesten“ – wurde erst Ende des 19. Jahrhunderts im historistischen Stil erbaut. Dabei vereinen sich in dem Backsteinbau mit „Specklagen“ Elemente der Renaissance, des Barock und des Klassizismus. Selbst der Einfluss des Jugendstils ist an diesem Herrenhaus, so an dem schmiedeeisernen Kunsthandwerk, abzulesen. Der Name des Schlosses verweist im Übrigen auf die einst an dieser Stelle vorhandene Stadtbefestigung, zu der auch der bis heute sichtbare Wasserlauf der Parkanlage gehörte.
© fotos: ferdinand dupuis-panther
Informationen
Toerisme Herentals
www.herentals.be
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