Von Michael Stabenow.
Wer dieser Tage an der „Emmaus-Gemeinde“ im Brüsseler Stadtteil Stockel eintrifft, findet sich leicht in einer Sackgasse wieder. Wo seit Jahrzehnten der Weg durch eine Glastür in die Eingangshalle und von dort in den hellen Kirchenraum mit der hohen Decke führte, steht nun eine ebenso provisorische wie abweisende Wand. Ein rechts vor dem bisherigen Haupteingang aufgestellter und derzeit als Büroraum dienender gräulicher „Portakabin“-Container schafft letzte Gewissheit: Hier wird – bis auf weiteres – gebaut!
Das Ehepaar Ruth und Frederik Koßmann, seit 2016 Pfarrer der gut 900 Mitglieder zählenden Deutschsprachigen Evangelischen Gemeinde, weiß davon ein nicht zu frommes Lied zu singen. An Werktagen übertöne der Baulärm locker die lebhaften Rufe der sich auf dem Sportplatz jenseits der Straße austobenden jüngeren und älteren Zeitgenossen. Für insgesamt 1,8 Millionen Euro wird das 1974 eingeweihte Gemeindezentrum gründlich saniert und renoviert. „Wir rechnen damit, dass bis kommende Weihnachten die Arbeiten abgeschlossen sind“, sagt Ruth Koßmann.
Neben dem Wohntrakt der Pfarrersfamilie ist der zur Straße hin großzügig verglaste Kirchenraum ziemlich der einzige Teil des Gebäudekomplexes, der von den im vergangenen Herbst angelaufenen Renovierungsarbeiten eher verschont bleibt. Nicht ganz, erklärt die Pfarrerin und deutet auf eine feuchte Wand im Kirchenraum. Auf der gegenüberliegenden Seite, jenseits des Holzaltars, stehen Regale mit hunderten von Büchern – die Bibliothek der Gemeinde befindet sich derzeit dort.
Wo die Bücher gewöhnlich stehen, tut sich heute ein riesiges Loch auf. Der Blick reicht vom Unter- bis ins zweite Obergeschoss, wo die im stumpfen Winkel angebrachten holzgetäfelten Decken verlaufen – als habe hier einst ein anthroposophischer Architekt gewirkt. Weiter unten sind die massiven Betondecken mit Presslufthämmern aufgebrochen worden. Etliche Stahlständer sorgen für provisorischen Halt.
Vergrößertes Sitzangebot
Neue Wände sollen entstehen, ein deutlich vergrößerter Küchentrakt sowie ein Fahrstuhl, der älteren Gemeindemitgliedern das Auf und Ab im Gebäude erleichtern soll. Der Haupteingang wird auf die Rückseite des Gebäudekomplexes verlegt, wo der Parkplatz etwas zugunsten einer neuen Grünfläche schrumpfen soll. Zusätzlich zum Kirchenraum mit unverändert 250 Sitzplätzen soll das erweiterte Foyer dann weiteren 150 Besuchern Platz bieten. Das vergrößerte Sitzangebot dürfte sich besonders bei den Weihnachts- und Konfirmationsgottesdiensten bemerkbar machen.
Noch muss man seine Phantasie spielen lassen, wenn man auf die derzeitige Baustelle blickt. Sicher ist nur, dass für die „Emmaus-Gemeinde“ eine neue Zeitrechnung anbricht. Hier sollen neuen Veranstaltungsräume und – im obersten Geschoss – voraussichtlich eine Nächtigungsmöglichkeit für Gäste entstehen. Auf dem Parkplatz sind fein säuberlich Steine aufgestapelt, die Gemeindemitglieder in den vergangenen Wochen in Sicherheit gebracht und für die Wiederverwendung gründlich gereinigt haben.
Dem in Zeiten der Corona-Pandemie auf manch harte Probe gestellten Pfarrehepaar merkt man an, dass das Umbauprojekt für sie eine Herzensangelegenheit ist. Frederik Koßmann gibt auch unumwunden zu, dass seine Frau und er sich nicht nur, aber auch deswegen zur Verlängerung ihres im kommenden Sommer auslaufenden Vertrags in Brüssel entschieden hätten. „Es wäre schwierig, mitten in einem sehr komplizierten Bauprojekt auszusteigen. Zudem möchten wir auch erleben, was daraus wird“, erläutert der Pfarrer.
Gemeinsam mit den neun anderen Mitgliedern des Presbyteriums wollen die Koßmanns alles daran setzen, das Vorhaben zum Erfolg zu führen. Finanziert wird es nicht zuletzt durch großzügige Erbschaften von zwei Gemeindemitgliedern, durch einen Zuschuss der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), aber auch durch eigene Mittel und Spenden.
Spendenerklärung und Steuerbescheid
Die „Emmaus-Gemeinde“ ist derzeit nicht nur die größte deutschsprachige evangelische Auslandsgemeinde. Sie zählt aufgrund der Mitgliederstruktur im Großraum Brüssel sicher zu den zahlungskräftigsten. Dennoch sucht sie, zumal auch eigene Mittel für andere Zwecke eingeplant sind, weiter nach Spenden für das Sanierungs- und Renovierungsprojekt.
Die auf die Förderung des Zusammenlebens in Belgien spezialisierte philanthropische „König-Baudouin-Stiftung“ hat sich zur Partnerschaft bereit erklärt. Spenden für die Renovierung können auf ein speziell dafür von der Stiftung eingerichtetes Konto überwiesen werden. Bei Beträgen von mehr als 40 Euro ist eine auf Grundlage einer Bescheinigung der Stiftung gewährte Steuermäßigung um 45 Prozent möglich.
So sehr Ruth und Frederik Koßmann beim Fortgang der Umbauarbeiten auch mitfiebern – die Seelsorge und die sonstigen Kernaufgaben in der Kirchengemeinde sollen, gerade in Pandemiezeiten, nicht zu kurz kommen. „Wir müssen uns sehen, um nicht zu vereinsamen“, sagt Ruth Koßmann und verweist auf die weiter angebotenen Veranstaltungsreihen wie die werktäglich morgens um 10 Uhr angebotene – virtuelle – „Tasse Kaffee“ oder auch „Bibel im Gespräch“.
Gottesdienste finden weiter im hybriden Format statt. Unmittelbar nach Ausbruch der Pandemie im Frühjahr 2020 ging die Gemeinde dazu über, sie über den Anbieter „Zoom“ per Internet zu übertragen. „Es ist kein einziger Gottesdient ausgefallen“, sagt Frederik Koßmann mit einem gewissen Stolz. Tatsächlich gehe es darum, aus der Not eine Tugend zu machen. Es sei nicht nur gelungen, die Tuchfühlung zu den jetzigen Gemeindemitgliedern zu wahren. Auch frühere Mitglieder hätten per Internet wieder Kontakt aufgenommen.
„Wir hatten eine Taufe, zu der sich Teilnehmer aus Deutschland, Schottland und Kanada zugeschaltet haben“, erzählt der Pfarrer. Und es sei durchaus beabsichtigt, auch längerfristig die Übertragung von Gottesdiensten anzubieten. „Es hat sich ein Portal geöffnet“, sagt Ruth Koßmann.
Bei einer realen Tasse Tee in ihrem Wohnzimmer schildern die Pfarrer, die beide in diesem Jahr 58 Jahre alt werden, wie es sie 2016 aus Duisburg nach Brüssel verschlagen hat. „Wir wollten ins Ausland. Brüssel hatten wir gar nicht auf dem Zettel. Belgien kannten wir eigentlich nur von den beleuchteten Autobahnen oder den Frittenbuden auf dem Weg ins niederländische Zeeland“, sagt Frederik Koßmann schmunzelnd.
Dass Belgien nicht nur kulinarisch mehr zu bieten hat, haben beide schnell erfahren. Die historischen, kulturellen wie auch landschaftlichen Reize des Landes haben sie regelrecht für sich eingenommen. Beeindruckt hat sie auch die „belgische Lösung“: die Art und Weise, Auswege aus verfahren erscheinenden Situationen zu finden.
Den Umzug aus Duisburg mit seinen sozialen Brennpunkten in das vergleichsweise wohlhabende Brüssel empfinden die Koßmanns als wichtige Erfahrung. Entscheidend sei aber, fügt Ruth Koßmann hinzu, so oder so: „Menschen bleiben Menschen – mit ihren Lebenserfahrungen.“
Spenden für das Bauprojekt
können an das von der „König-Baudouin-Stiftung“ verwaltete „Projektkonto L83371“ überwiesen werden.
Kontoinhaber: König-Baudouin-Stiftung
IBAN: BE10 0000 0000 0404
BIC: BPOTBEB1
Verwendungszweck: 623 / 3652 / 10062
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