Alle 2 Jahre im Oktober öffnen sich in Brüssel an vier Wochenenden die Türen privater Häuser und Residenzen, die sonst dem Publikum verschlossen sind. Wer wollte nicht einmal einen Blick hinter die Fassaden werfen: die des Maison Autruque (Victor Horta), der Art Deco Villa Empain oder der Banque Outremer, früheres Büro des Industriemagnaten Stoclet – ja, des Auftraggebers von Josef Hoffmann und der Wiener Werkstätte für das Palais Stoclet und sein Büro? Für Leser von Belgieninfo gibt es dieses Mal einen doppelten Grund, bei der Art Nouveau/Art Deco Biennale im Oktober dabei zu sein: Zwei unserer Internet-Autoren – Walter Grupp und Margaretha Mazura – öffnen ihre Sammlungen dem Publikum.
Am ersten Wochenende (3/4 Oktober) gehen die Vasen der Sammlung Schellhorn/Grupp mit den Fächern von Margaretha Mazura eine Symbiose ein, ganz im Sinne eines stimmigen Gesamtkunstwerks, wie vom Jugendstil postuliert. Ausschlaggebend für diese Ausstellung war die Entdeckung, dass Georges de Feure sowohl Vasen wie auch Fächer entworfen hat. Der unter dem Namen de Feure bekannte Jugendstil-Künstler wurde mit dem Namen Georges Joseph Van Sluÿters als Sohn eines holländischen Vaters und einer belgischer Mutter geboren. Die Ausstellung zeigt 2 Vasen und 2 Fächer von Georges de Feure sowie eine von ihm gestaltete Klavierpartitur. Bei näherer Betrachtung erschließen sich Ähnlichkeiten in der Ornamentik auf Vasen und Gläsern, aber auch auf Fächern, Menükarten und Postern. Gerade auf Hausfassaden findet er Raum für Dekorationen ganz im floralen Jugendstil mit Mädchenprofilen und Schlingpflanzen.
Am zweiten Wochenende (10/11 Oktober) öffnet sich das “Concert Noble”, um dem Publikum einen Einblick in seine großen Ballsäle zu gewähren. So manchen Leser wird der Bericht über den Wiener Ball in Erinnerung sein, wo das alljährliche “Alles Walzer” nicht nur österreichische Freunde anlockt. An diesem Wochenende werden Fächer gezeigt, die der “dernier cri” auf solchen Bällen Anfang des 20. Jahrhunderts waren: Feder- und Pailletten-Fächer. Von ausgestopften Vogelköpfen bis zu riesigen Straußenfederfächern in allen Farben glitzert die Welt des Art Deco. Die Fächersammlung von Margaretha Mazura wird durch Stücke eines belgischen Sammlers erweitert, die noch nie zuvor gezeigt wurden, darunter zwei asymmetrische Fächer aus Flamingo-Federn.
Besichtigungen der Biennale sind zu buchen auf:
Biennale: http://www.biennale-art-nouveau.be/
Besichtigungen nur der Fächer/Vasen: Tel. +32 473 470107
Fächer-Blog Margaretha Mazura: http://eventailfan.blogspot.co.uk/
EXKURS ÜBER FÄCHER
Der Fächer ist so alt wie die Menschheit: zunächst als notwendiges Werkzeug, um Hitze zu lindern, Feuer anzufachen und Insekten zu verjagen, wurde er zunächst zu einem Zeremonialinstrument (Ägypten, Indien) und zu sakralem Gebrauch verwendet (Flabellum in der römisch-katholischen und orthodoxen Kirche), bis die kleinen Handfächer, die schon von den Griechen und Römern verwendet wurden, zum ersten Mal Werkzeug weiblicher Koketterie wurden. Dies waren alles Stielfächer, das heißt, nicht zusammenklappbar, aus Federn, Blättern oder gewebten Fasern gefertigt.
Mit dem Orienthandel kam im 16. Jahrhundert der Faltfächer aus Japan nach Europa, und eroberte sich nicht nur das Herz der Damen (auch Männer trugen Fächer, wenn auch seltener). Die goldene Zeit der Fächerproduktion war Paris im 18. Jahrhundert, wo die wohl prachtvollsten, gemalten Fächer entstanden, mit Themen aus dem Alten Testament, der klassischen Mythologie oder Schäferszenen. Sie waren nicht nur «Szepter der Damen», sondern auch Konversationsstück: es gab ja nur beschränkt Unterhaltung zu jener Zeit, und eine oft pikante Szene trug zur Unterhaltung der Gesellschaft bei.
Das 19. Jahrhundert mit seiner Stilvielfalt, wurde gefolgt vom letzten großen Auftritt der Fächer im Jugendstil.
Jugendstil war ein urbaner Stil der ziemlich zeitgleich in verschiedenen Städten Europas entstand (Paris, Brüssel, Wien, Riga, Darmstadt, Glasgow, um nur ein paar zu nennen). Aber er war kurzlebig, eigentlich nur zwischen 1895 und 1905 existent. Beeinflusst von den Weltausstellungen, die den Horizont der Europäer öffneten, beeinflussten Orientalismus und Japonismus die Kunst. Der Wunsch nach einem Gesamtkunstwerk führte dazu, dass verschiedene Künstler zusammenarbeiteten und eine “cross-fertilization” stattfand, Eingang in Objekte des täglichen Lebens.
Es war die Zeit neuer technischer Erfindungen: Elektrizität, Radio, Telefon, Auto, und einer Verschiebung des sozialen Gefüges, vor allem nach dem 1. Weltkrieg. Die Frauenemanzipation war nicht mehr aufzuhalten, Frauen besaßen jetzt Kaufkraft und wurden zum eigenständigen Teil des Wirtschaftslebens. All dies führte zu neuen Verhaltensbildern, wie Sport und “Konsumismus”, die vor allem durch ein neues Phänomen reflektiert wurden: die Werbung.
Fächer spiegeln alle diese Entwicklungen. Die ätherische Jugendstil-Frau, umschlungen von Blüten und Ranken mutierte langsam zur Femme Fatale, beeinflusst vom Orientalismus der Ballets Russes im Paris um 1910. Mucha kreierte auf Plakaten einen neuen Stil, der von Fächermalern wie Gendrot aufgegriffen wurde. Nach dem 1. Weltkrieg erfuhr der Werbe-Fächer einen neuen Aufschwung und wurde vor allem für Luxus-Produkte und Etablissements verwendet. Neben den Straußenfederfächern bildeten auch Paillettenfächer ein glitzerndes Bild, das von dem in den Großstädten nunmehr überall vorhandenen elektrischen Licht reflektiert wurde.
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