Von Friedhelm Tromm.
Viele kennen ihn aus dem „Scheibenwischer“ und vor allem durch seine meisterhaften Parodien deutscher Politiker: Am 7. Februar war der Kabarettist Thomas Freitag mit seinem neuen Soloprogramm live auf der iDSB-Bühne zu erleben. Darin wirft er einen satirischen und sehr komischen Blick auf Europa – oder auf das, was davon noch übrig ist.
Freitag tritt seit über 40 Jahren als Solokabarettist auf, diese Routine merkt man ihm an: Als bereits nach 15 Minuten das Mikrofon ausfällt, bleibt er äußerst gelassen und redet einfach weiter – während er sich von hinten die Kabel aus der Kleidung ziehen und das Übertragungsgerät wechseln lässt.
Zu diesem Zeitpunkt ist er schon längst in die Rolle des EU-Beamten Peter Rübenbauer geschlüpft. Rübenbauer, zuständig für EU-Verkehrsplanung und verantwortlich für die „wichtigste Verkehrsreform der EU – den Kreisverkehr“, hat es anscheinend aus der Bahn geworfen, und er findet sich an irgendeiner Haltestelle im Nirwana wieder, an der sich im Laufe des Abends allerlei skurrile Figuren einfinden, wie der Bürgermeister von Brunshausen, der „Leberkäse-Hauptstadt Europas“, der „evangelische Selbstmordattentäter“ Hans-Peter Mauser-Seitenbacher oder Herr Drempel aus Holland, der in der EU für Entschleunigung zuständig war.
Ist diese Haltestelle eine Endstation? Oder geht es von hier aus noch irgendwie weiter? Jedenfalls lässt sich aus dieser Perspektive trefflich beschreiben, was Europa im Moment (wenigstens zum Teil) ist, was es einst war und was es eigentlich sein sollte.
Der Zustand der EU
Mit beißendem Spott nimmt Freitag alias Rübenbauer die bürokratische Verknöcherung und das selbstzerstörerische Potenzial der EU aufs Korn. Kann man nicht schon den Kreisverkehr an sich als Symbol für den Zustand der EU sehen? „In der Mitte ein Kunstwerk, das alle europäischen Erfolge der letzten Jahre darstellt – eine komplett leere Fläche.“
Liegt es am Personal? „Die gegenwärtige EU-Kommissarin für Verkehr hatte vorher mit Verkehr nichts, aber auch gar nichts zu tun. Sie hat eine Ausbildung als Schamanin und Esoterikerin – das erste, was sie versucht hat, war, die KFZ-Steuer nach Sternzeichen zu berechnen“.
Und was macht das EU-Parlament? „Dort sitzen zu 30% Parteien, die einen EU-Austritt ihrer Länder anstreben“, eigentlich paradox, denn: „Gehen Vegetarier ins Steakhaus? Oder gehen katholische Priester in den Puff?“ („Okay, das war ein schlechtes Beispiel“, gibt er sogleich zu).
Liegt es daran, dass jedes Land nur an sich denkt? Von über einer Million Flüchtlingen hat Polen insgesamt nur 400 aufgenommen, „weil sie Überfremdung fürchten“. – „Dabei gibt es in Polen kaum Ausländer, die einzige Schwarze im Land ist die Madonna von Tschenstochau.“
Sein vorläufiges Fazit: „Europa ist eine gute Sache, aber man hätte sie nicht mit anderen Ländern machen sollen“.
Wie konnte es so weit kommen?
Immer mehr Staaten wollen raus aus Europa und führen auf einmal wieder neue Grenzen ein. „Dabei waren wir doch glücklich, als die Grenzen geöffnet wurden. Was haben wir uns gefreut, als die ersten Leute aus dem Osten zu uns in den Westen kamen und viele für immer blieben – weil sie mit den alten Gebrauchtwagen, die wir ihnen angedreht haben, nicht mehr zurück nach Hause kamen.“
War die Einheit Europas nicht immer ein großer Wunschtraum? Als Thomas Freitag diese Vision beschwört, kommt flugs Zeus persönlich auf die Bühne: „Wir Griechen haben alles Große in Europa entwickelt, von der europäischen Kunst bis zur Demokratie, und haben auch die Geschichte von Odysseus erfunden, wie er sich die Ohren mit Wachs zugeschmiert hat, um den schrecklichen Gesang der Sirenen auszuhalten – da kannten wir den Europäischen Song-Contest noch nicht“. „Wir haben in der Mathematik gleichschenklige Dreiecke berechnet, GLEICHSCHENKLIG, kann man die Zahlenwelt noch sinnlicher erfahren? Da bekommt der Begriff ‚Kurvendiskussion’ eine völlig neue Bedeutung!“. Ja, in dieser Zeit gab es in Europa noch Leidenschaft und Großzügigkeit.
Wenn man aber heute das Wort „Zeus“ googelt, findet man die Abkürzung ZEUS – „Zentrale für Einkauf und Service“, die hundertprozentige Tochter einer Baumarktkette. Ist das nicht das ganze Drama? „Die griechische Mythologie wurde abgelöst durch die germanischen Götter ‚Obi’ und ‚Aldi’“. „Wir haben es geschafft, Europa nur als Business zu sehen und nennen jeden, der das ändern will, verächtlich einen ‚Gutmenschen’. Aber was anderes wollen wir sein, wenn nicht ‚gute Menschen’?“
Was muss sich ändern?
„Nur durch nationalen Egoismus und Abschottung werden wir unseren Wohlstand auf Dauer nicht erhalten können“, meint Rübenbauer. „Auch wenn wir glauben, es ginge immer weiter aufwärts, das haben die Menschen auf dem Heck der Titanic bei ihrem Untergang auch eine Zeitlang gedacht“.
Am Ende steigert er sich in eine leidenschaftliche Predigt: „Europa muss wieder eine große Idee werden!“. Und er stimmt der Kanzlerin zu: „„Die Merkel hat schon völlig recht, wenn sie sagt, Europa sollte sich nicht immer nur um Gurken kümmern. Man könnte sie aber auch fragen: Warum schickt sie dann immer die größten dorthin?“
Er erinnert auch daran, dass die EU Europa Frieden beschert hat: „Heute kann man mit dem AUTO nach Polen reisen, vor 80 Jahren ging das nur mit dem Panzer.“
Und sicher gibt es in Europa kulturelle Unterschiede: „Wenn die Franzosen etwas Heißes machen wollen, machen sie Sex – die Deutschen jedoch grillen“. Aber ist nicht gerade das eine Bereicherung?
Die feine Grenze zwischen Satire und Zynismus
Ein Ausspruch Oscar Wildes zieht sich wie ein Leitmotiv durch den Abend: „Ein Zyniker ist ein Mensch, der von allem den Preis kennt, aber von nichts den Wert“. Freitag balanciert gekonnt auf der feinen Grenze zwischen Satire und Zynismus, überschreitet sie aber nie, im Grunde bleibt er ein Moralist. Seine Figur Rübenbauer hat die Werte Europas nur FAST vergessen. Ja, noch gibt es „Licht am Ende des Eurotunnels.“
Am Ende eines gleichsam unterhaltsamen wie anregenden Abends erntet Thomas Freitag lang anhaltenden Applaus. Er hat auch eine Aufnahme seines sehenswerten Programms auf DVD dabei: „Da ist alles drauf, was Sie heute gesehen haben – bis auf die kleine Slapstick-Nummer vorhin!“. Schade eigentlich, denn gerade die dürfte sich nicht so ohne weiteres wiederholen lassen.
Fotos: Friedhelm Tromm
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