Mit der lange Zeit in Russland verbotenen Schostakowitsch-Oper beendet die Monnaie ihre Saison 2022/23.
Premiere: 20. Juni. Mehr Informationen und Tickets via Website: www.lamonnaie.be
Von Hajo Friedrich
Ohne Kultur sind die Zeiten, in denen wir leben, nicht auszuhalten. Ein wichtiger und von manchen Newcomern im Königreich Belgien noch zu entdeckender Ort dafür ist das seit Jahren für herausragende Produktionen bekannte Brüsseler Opernhaus „La Monnaie/De Munt“. Als letzte Premiere vor der Sommerpause steht die lange in Russland verbotene Oper „Die Nase“ von Dmitri Schostakowitsch auf dem Programm, die er 1928 im Alter von 22 Jahren komponiert hat. Die Handlung gründet auf der gleichnamigen, absurd-phantastischen Erzählung von Nikolai Gogol aus dem Jahr 1836.
Absurd, weil es tatsächlich um eine Nase geht, die sich – wie so manches im Staate – verselbständigt hat. Und vielleicht gar nicht mal so phantastisch, weil die beteiligen Menschen ihr Eigenleben ernst- und abnehmen. In Russland wurde die erste erhaltene Schostakowitsch-Oper kurz nach ihrer Uraufführung Anfang 1930 verboten: das „Fehlen eines positiven Helden“ und der „Einfluss westeuropäischer Kompositionsmethoden“ lauteten einige der Hauptvorwürfe des Stalin-Regimes.
Die Story der Oper ist vollkommen verrückt. Eines Morgens wacht Major Kovalev auf und entdeckt, dass seine Nase verschwunden ist. Sein Riechorgan hat inzwischen riesige Ausmaße angenommen und sich selbständig auf dem Weg (durch die Instanzen) gemacht. Wie Kovalev seine Nase wiederfindet und was zuvor von den Mitmenschen nach allen möglichen Regelwerken damit angestellt wird, das unterhält nicht nur. Für Feinschmecker taugt es auch bestens, Bürokratien aller Länder – einschließlich gelegentlichen Auswüchsen der EU – auf die Schippe zu nehmen. Nicht nur während der Stalinzeit war die Oper in Russland von der Bühne verbannt. Erst 1974, zwanzig Jahre nach Stalins Tod, konnte sie dort wieder aufgeführt werden.
Die kommende Brüsseler Aufführung verspricht wieder bestes Musiktheater. Regie führt der vom Straßentheater (La Fura dels Baus) in Barcelona kommende Spanier Álex Ollé. Und am Dirigentenpult steht mit Gergely Madaras auch kein Unbekannter. Seit 2019 leitet der junge Ungar das Philharmonische Orchester von Lüttich.
Mehr als 80 Personen treten in dem relativ kurzen, etwas weniger als zwei Stunden dauernden Dreiakter auf. Die Ohren der Zuschauer können sich auf elf herausragende Stimmen freuen. Nebenbei noch ein Hinweis für Feinschmecker des musikalischen Schlagwerks: die Oper soll eine der längsten Schlagzeugpassagen der Operngeschichte bieten, an der 14 Instrumente beteiligt sind.
Die zusammen mit dem Königlich Dänischen Theater erarbeitete Produktion bietet auch eine wunderbare Gelegenheit, Musik und Leben von Dmitri Schostakowitsch (wieder) zu entdecken. Eine Lektüreempfehlung für den Sommer: Julian Barnes 2017 erschienener Schostakowitsch-Roman: „Der Lärm der Zeit“, in dem er uns fragt: Was hätten wir gemacht – in einem Leben, das uns überfordert? Dem „Lärm der Zeit“ lasse sich nicht zuletzt die Musik entgegensetzen: „Nur die Musik, die wir in uns tragen. Die Musik unseres Seins, die von einigen in wirkliche Musik verwandelt wird“, so Barnes.
Und natürlich Gogol. Für mich zählen seit langem die russischen Autoren des 19. Jahrhunderts – vor allem Anton Tschechow und Iwan Turgenjew – zu immer helfenden Haus- und Heilmitteln. Es war schon etwas absurd, dass sich Monnaie-Generaldirektor Peter de Caluwe im vergangenen Jahr – kurz nach dem Beginn der Invasion Russlands in die Ukraine – rechtfertigen musste, weil so viele „Russen“ in der Programmplanung für die Saison 2022/23 vertreten waren. Bezüglich der „Nase“ ließ sich der offensichtliche Zwang zur Distanzierung von allem Russischen durch den Hinweis heilen, dass Gogol doch ukrainischer Herkunft sei.
Also, dem Opernbesuch dürfte nichts mehr im Wege stehen. Interessenten empfehle ich zügige Buchung, weil die besten Stücke der Monnaie erfahrungsgemäß in Windeseile ausverkauft sind.
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