Das Palais Stoclet in der Brüsseler Avenue Tervuren ist von der Unesco am 27.6.2009 in die 679 Kulturdenkmäler umfassende Liste des Weltkulturerbes aufgenommen worden. Dieses einzigartige Gesamtkunstwerk des Jugendstils wurde zwischen 1905 und 1911 im Auftrag des Geschäftsmanns Adolphe Stoclet errichtet. Wenige wissen, dass das Gebäude ursprünglich auf der Hohen Warte in Wien hätte stehen sollen…
Adolphe Stoclet wird 1871 in Brüssel als Sohn einer wohlhabenden Familie von Bankiers und Zivilingenieuren geboren. Seine Karriere ist damit vorgegeben. Gegen den Willen der Familie heiratet er die mondäne Tochter eines Pariser Kunsthändlers, Suzanne Stevens. Als Zivilingenieur wie sein Vater widmet sich Adolphe dem Eisenbahnbau und kommt so nach Wien, wo er sich am Bau der Aspangbahn beteiligt. Bald verkehren die Stoclets in den künstlerischen Zirkeln von Wien, allen voran den “Sezessionisten”, jener Gruppe von Künstlern unter der Aegide Gustav Klimts, die 1897 dem abgeschmackten Gründerzeitstil eine Absage erteilt haben und den “Jugendstil” kreierten. Josef Hoffmann war einer der Gründungsmitglieder der Sezession.
Stoclet macht seine Bekanntschaft auf der Hohen Warte in der Villa des Malers Carl Moll (der später der Stiefvater Alma Mahlers werden sollte). Die Hohe Warte ist damals wie heute die Nobelgegend im Nordwesten Wiens, ein wenig vergleichbar mit der Mathildenhöhe von Darmstadt. Stoclet, begeistert von Molls Villa, die Josef Hoffman entworfen hatte, engagiert ihn, ebenfalls auf der Hohen Warte eine Villa zu errichten. Von Anfang an hatte er ein Gesamtkunstwerk im Sinn. 1903 hat Hoffmann, gemeinsam mit seinem Kollegen Olbrich und dem Geldgeber Waerndorfer die “Wiener Werkstätte” gegründet, einen Betrieb, der das Alltägliche zur Kunst, die Kunst in den Alltag aller bringen wollte. Ein Konzept, das sich letztendlich nicht durchführen ließ, aufgrund der Kosten der “alltäglichen Kunst”. Aber mit dem Palais Stoclet verwirklichte sich der Traum der Wiener Werkstätte: vom Besteck bis zur Gartenanlage wurde alles durchgestylt. Allerdings nicht in Wien, sondern in Brüssel, wohin Stoclet nach dem Tod von Vater und Bruder zurückberufen wurde.
Jardinieren von “Quadratl-Hoffmann”
Der Wiener Jugendstil (oft auch Sezessionsstil genannt) kennt von Anfang an nicht den floralen, geschwungenen Stil der französischen Art Nouveau, wie ihn auch Horta in Brüssel anwandte. Van der Velde, belgischer Architekt, sagt schon 1902, dass “die Zeit des Ornaments aus Ranken, Blüten, Weibern” vorbei sei. Josef Hoffmanns Entwürfe, sei es für Blumenjardinieren, Besteck oder Tische, sind der Geometrie verhaftet, weshalb man ihn in Wien auch “Quadratl-Hoffmann” nannte. Das Palais Stoclet ist sein Chef d’oeuvre, er hat alle Top-Künstler der Zeit an der Hand – allen voran Gustav Klimt, Kolo Moser, Carl Otto Czeschka und andere, dazu als einen der wenigen Belgier Georges Minne (Brunnenfigur aus Alabaster) und zwei Damen, Frau Luksch und Frau Schleiss-Simandl; die Ausführung wird den Wiener Werkstätten übergeben. Sein Auftraggeber gibt ihm finanziell freie Hand. Das Geheimnis der Gesamtkosten des Gesamtkunstwerks nimmt Adolphe Stoclet 1949 mit ins Grab.
Bad und Halle im Palais Stoclet
Im April 1914 schreibt “The Studio”, das führende Kunstjournal Englands: “Eines der herausragendsten Errungenschaften in der Sphäre moderner Privatarchitektur und Dekoration ist die Villa oder das “Palais” von Herrn Stoclet, unlängst errichtet in Brüssel nach den Entwürfen von Professor Josef Hoffmann aus Wien. Herr Stoclet ist ein reicher Magnat der belgischen Hauptstadt und Eigentümer einer erlesenen Sammlung antiker Kunstwerke”.
Mit farblich abgestimmter Krawatte
Bei dem von außen mächtig wirkenden Palais wurden keine Kosten gescheut. Norwegischer Turilli Marmor verkleidet die Fassaden, das Kupferdach mit seiner natürlichen grünen Patina ist ebenso gewollt wie die topiarisch geschnittenen Büsche und Sträucher des Gartens. Zeitgenossen bezeichneten Adolphe Stoclet als “pompös”, was wohl auch zugetroffen haben mag, geht doch die Geschichte, dass sowohl die Kleider seiner Frau, die Blumen auf den Tischen und seine Krawatte auf das Haus und die jeweils blühenden Pflanzen abgestimmt waren. Berühmt ist das Speisezimmer mit 24 Plätzen, der Tisch aus Makassar-Holz und Einlegearbeiten, die Stühle mit Morocco-Leder überzogen und Goldinitialen. Die Wände aus Portovenere-Marmor schmücken Klimts Lebensbäume, die “Erwartung” und “Erfüllung”, alles in Mosaik ausgeführt. Das Musikzimmer – ein “must” zu jener Zeit – hat eine eigene Theaterbühne, der Bösendorfer-Flügel wurde ebenfalls von Hoffmann entworfen. Das Badezimmer verdient wohl eher die Bezeichnung Wellness-Oase und das von Jungnickel gemalte fröhliche Tierfries im Knabenzimmer hätte wohl alle Kinder erfreut.
Schätzungen zufolge beläuft sich der Wert der Inneneinrichtung auf etwa 30 Millionen Euro, die Gartenanlage auf 80 Millionen Euro. Meldungen der Erben des Palais zur Erhebung ihres Hauses in den Status eines Weltkulturerbes sind noch nicht bekannt.
Fotos Archiv und “The Studio” Vol. 61 No. 253, 15. April 1914
Autor: Margaretha Mazura
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