Von Margaretha Mazura.
Performances, Konzerte und ein Museum, das abwesend ist: So zeigt sich das diesjährige Kunsten Festival des Arts, das vom 5. bis zum 27. Mai ein breitgefächertes Programm darstellender und bildnerischer Kunst präsentiert. Immer schon avantgardistisch angehaucht, scheint es heuer einige Grenzen überschreiten zu wollen.
Persönliche Betrachtungen zum Programm:
“Die Zukunft wird lachen über die Unfruchtbarkeit unserer Kunst. Wir sind dabei, mit der Vernichtung des Schönen im Leben auch die Kunst zu zerstören.” Im Hinblick auf den kosmopolitischen Charakter des Festivals scheint ein Zitat des japanischen Gelehrten Okakura Kakuzo (1862-1913), der Künstler wie Ezra Pound oder Rabindranath Tagore inspirierte und zu seinem Freundeskreis zählte, angebracht.
Im Mittelpunkt des Festivals steht WIELS, das Nicht-Museum (oder sollte man besser sagen: Über-Museum?) für zeitgenössische Kunst, das sein zehnjähriges Jubiläum feiert. Sozusagen Museum ohne Portfolio – es nennt keine Kunst sein Eigen und zeigt nur temporäre Ausstellungen, mehr als 65 in den 10 Jahren – öffnet es zum Kunstenfestival seine Pforten für junge Künstler, aber auch Werke des früh verstorbenen deutschen Enfant Terrible Martin Kippenberg.
Neugier oder Staunen
WIELS ist auch für Performances anderer Künstler offen: So führt in einer “Guided Tour” Nástio Mosquito, cross-over Künstler aus Angola, durch das abwesende Museum – mit dem Neugier oder Staunen erweckenden englischen Titel “Once we shared consequent masturbation” (Einst teilten wir konsequente Masturbation). Sein Anliegen ist, wie der Titel vermuten lässt, antikonformistisch, eine Parallelinterpretation eines Museumsbesuches abseits von akademischem Kuratoren-Blabla, eingebettet in soziale Anliegen von Flüchtlingen und Obdachlosen.
Wenn dann der brasilianische Choreograph Marcelo Evelin mit seinen Dança Doente (“kranken Tänzen”) kommt, ausgeführt von seiner Tanzkompanie “Demolition Inc.” driftet zumindest im Titel Kunst in die Tiefen menschlicher Erschöpfung bis zum Ruin ab. Ebenfalls in Tänzen erweckt uns Eszter Salamon, Kunstenfestivalteilnehmern bereits ein Begriff mit ihrer Serie MONUMENT, zu neuen Ufern, die rituelle und traditionelle Tänze der Mapuche-Indianer Chiles und Argentiniens, unter freiem Himmel, unter dem Titel LANDING zeigt. Was irritiert, ist der polemische Text, mit dem dieser Kunstbeitrag beschrieben wird.
Folklore
Der “Westen habe in seinem grossen Unterfangen der Normalisierung diesen kulturellen Ausdruck zur “Folklore” degradiert” steht auf der Webseite zu lesen, nachdem einige Zeilen weiter oben die Tänze als rituell und folkloristisch, dismal ohne Anführungszeichen, bezeichnet wurden. Tatsächlich sollte man von “traditionellen und rituellen” Tänzen reden, die gemeinsam mit anderen Elementen, z.B. der Sprache, nämlich Mapudungun, die Folklore ausmachen (denn Folklore ist kein abschätziges Wort für Tradition, sondern, laut Wikipedia, “der sichtbare Ausdruck sämtlicher Traditionen einer ethnischen Gemeinschaft”). Eszter Salamon wäre eines besseren Textes würdig, der uns (die Westerner) nicht auch noch der Identitätserpressung bezichtigt. Es wäre auch noch interessant zu hinterfragen, wieweit die Mapuche an unserer, der “westlichen Folklore” Interesse haben und darüber Bescheid wissen. Im Sinne des Austausches von Kultur und Tradition.
Tagtägliche Objekte, verpackt in Choreographie und improvisierte Musik, stellt der japanischer Künstler Tetsuya Umeda dar, und das mehrsprachig: auf Französisch, Niederländisch, Deutsch, Japanisch und, für alle, denen die natürliche Sprachenvielfalt nicht genügt, Esperanto.
Alles, bloß nicht im Mainstream
Wem das alles noch zu sehr nach “mainstream” klingt, der ist, scheints, gut bedient mit El Conde de Torrefiel. Wie viele Künstler des Festivals nicht auf ein Genre festzulegen, werfen die Spanier einen Blick auf das zeitgenössische Europa mit Videos, Musik, Choreographie, Theater, und Erzählung, Die Photos sprechen Bände: nackte Männerkörper mit heruntergelassenen Hosen, deren männlichste Teile in Signalfarben eingefärbt die Blicke auf sich ziehen. “Die Möglichkeit, die vor der Landschaft verschwindet”, so der Titel, lässt alle Möglichkeiten in Erscheinung treten.
Wie weit sich mit dem Programm, das noch mehr Beiträge enthält, der Spruch von Okakura Kakuzo bewahrheitet, sei dem Urteil jedes Zuschauers überlassen. Vielleicht ist es aber versöhnlicher, mit dem Spruch des deutschen Aphoristiker Peter Rudl zu enden: “Die Kunst ist der natürliche Feind der Normalität”.
Praktische Hinweise:
Webseite mit gesamten Programm + Tickets:
Das unsichtbare Museum:
WIELS, Centre d’Art Contemporain
Av. Van Volxem 354, 1190 Bruxelles
Beiträge und Meinungen