Von Michael Stabenow.
Der flämischen Journalist Wouter Verschelden beschreibt in „De doodgravers van België“ (Die Totengräber von Belgien) die jüngsten politischen Entwicklungen Belgiens, die von persönlichen Intrigen, Eitelkeiten und Unaufrichtigkeit nur so wimmeln. Auf gut 270 Seiten wird Verschelden seinem Ruf, einer der am besten informierten Journalisten Belgiens zu sein, vollauf gerecht. Er scheint Mäuschen spielen zu können in Parteizentralen, Hinterzimmern, Restaurants und sogar im Königschloss.
Nicht nur der N-VA-Vorsitzende De Wever zeigte sich in Plauderlaune. Für das gleichermaßen durch Akribie der Darstellung wie auch die sprachliche Lockerheit überzeugende Buch scheint Belgiens Spitzenpolitiker Verschelden Blicke hinter die Kulissen gewährt zu haben. Nicht ohne Sympathie beobachtet und beschreibt Verschelden, wie die „Erzfeinde“ von der flämisch-nationalistischen Neu-Flämischen Allianz (N-VA) und die französischsprachigen Sozialisten von der PS aufeinander zugehen. De Wever scheint bereit, linke Forderungen wie die Anhebung der Renten zu akzeptieren, während PS-Chef Paul Magnette offenbar dem Drängen der N-VA nach weiterer Stärkung der Regionen nachgeben möchten.
Auffallend schlecht kommt der heutige Premierminister Alexander De Croo bei Verschelden weg. Der flämische Liberale sei „…imstande, wie ein Aal zwischen den Koalitionspartnern hindurch zu schwimmen“, bescheinigt ihm die frühere Open VLD-Vorsitzende Rutten.
Den „Totengräbern“ verübelt Verschelden das ständige Taktieren, bei dem weniger das Gemeinwohl als das der Partei sowie der eigenen Karriere im Vordergrund stehe. Er kritisiert überbordenden Zynismus und Doppelbödigkeit. 662 Tage vergehen zwischen dem Bruch des Mitte-Rechts-Bündnisses des damaligen Regierungschefs Charles Michel Ende 2018 mit der N-VA und dem Amtsantritt der von De Croo geleiteten „Vivaldi“-Koalition. Wer das Buch liest, kann sich allerdings nicht der bitteren Erkenntnis erwehren, dass es in Belgien ohne extreme Gerissenheit, aber auch ohne offensichtlicher Unredlichkeit nicht zu Kompromissen kommen kann.
Möglicherweise hat Verschelden damit recht, dass die „Vivaldi“-Koalition nur ein Bündnis auf Zeit sei und N-VA sowie PS gemeinsam für einen Interessenausgleich in Belgien sorgen müssen. Und vielleicht erfüllt sich auch seine Hoffnung, dass die Politiker Lehren aus der „schmerzlichen Serie von Ereignissen“ ziehen, „um das folgende Kapitel der politischen Geschichte dieses Landes etwas erhebender zu gestalten.“
Auf jeden Fall erfährt der Leser des auch auf Französisch unter dem Titel „Les Fossoyeurs de la Belgique“ erschienenen Werks, viel über Land und vor allem die Leute. So wissen wir jetzt, dass Speis und Trank sozialistischer Gastgeber – PS-Chef Magnette tut sich gar als Brotbäcker hervor – mehr munden als die offenbar schwerverdauliche Kost flämischer Christlicher Demokraten.
Wouter Verschelden, De doodgravers van België, Medianation NV, Antwerpen 2021, 269 Seiten, 24,99 Euro ISBN 978946364910
Foto: Michael Stabenow
Beiträge und Meinungen