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Auf den Spuren einer vergessenen Sozialistin

Auf den Spuren einer vergessenen Sozialistin_01Berlin – Prag – Brüssel: Das kurze Leben der Ruth Oesterreich. Verfolgt, verraten, verhaftet – Ruth Oesterreich kämpfte bis zu ihrer Hinrichtung 1943 in Berlin gegen die Nazis. Zuvor war sie nach Belgien geflohen und arbeitete dort aktiv im kommunistischen Widerstand. Eine neue Biographie beleuchtet die unbekannte Sozialistin. Autorin Dr. Birgit Schmidt sprach in Auderghem mit der Enkelin Ilse über das bewegte Leben ihrer Großmutter Ruth.

Auderghem – das ist ein beschaulicher Vorort von Brüssel mit viel Wald. Hier lebt Ilse Oesterreich und empfängt Besucher aus Deutschland mit perfektem Deutsch, schließlich kam sie ja auch in Karlsruhe zur Welt, im Frühjahr 1944 war das: „da stand meine Mutter noch unter Aufsicht der Gestapo.“

Die Mutter von Ilse, Ruth Oesterreich, war vierzehn Monate zuvor aus dem Gefängnis entlassen worden: „Sie hat immer nur gesagt, sie weiß von nichts. Deshalb mussten sie sie dann tatsächlich entlassen.“ Im Gefängnis zurück blieb die Mutter von Ruth, die ebenfalls Ruth hieß, die Großmutter von Ilse. Die Geburt ihrer Enkelin hat sie nicht mehr erlebt. Denn die Oma (oben) konnte nichts sagen, sie wusste von nichts. Sie wurde im Februar 1943 nach Berlin verschleppt, vor den Volksgerichtshof gezerrt, zum Tode verurteilt und am 25. Juni 1943 in Berlin Plötzensee hingerichtet.

Erinnerungen an die Großmutter – nicht mehr als ein Karton

Auf den Spuren einer vergessenen Sozialistin_02Allzu viel weiß Ilse Oesterreich nicht von ihrer Großmutter, der Widerstandskämpferin aus Dresden, die am 21. April 1941 mit ihrer Tochter Ruth in Brüssel verhaftet und nach Deutschland transportiert wurde. „Meine Mutter hat nicht gerne darüber gesprochen,“ erzählt sie und öffnet einen Karton, in dem die Familie das Wenige aufbewahrt, das ihr von der Großmutter geblieben ist: Die schwarze, für sie so charakteristische Nickelbrille, die sie unmittelbar vor ihrem Tod abgelegt hat, das Original des Abschiedsbriefes, den sie ihrer Tochter noch schreiben, und Kassiber, die sie aus dem Gefängnis schmuggeln konnte, dazu noch die Heiratsurkunde, die Großmutter Ruths erste Eheschließung mit Otto Herman Jensen am 16. November 1916 bezeugt.

Die Urkunde teilt mit, dass Ilses Großmutter evangelisch war, sich dem Standesbeamten gegenüber jedoch als Dissidentin bezeichnet hat. Ihre Tochter Ruth aber, die mit ihr von April 1941 bis Februar 1942 im Brüsseler Gefängnis St. Gilles, dann in Aachen und in Karlsruhe einsaß, stammte aus ihrer zweiten Ehe mit dem Russen Arnold Rubinstein, und Rubinstein war Jude.

Ruth, die Tochter, hätte den nationalsozialistischen Behörden also als „jüdischer Mischling ersten Grades“ gelten müssen. Im Februar 1942 lag die sogenannte Wannseekonferenz, auf der die Deportation der im Reichsgebiet und in den besetzten Ländern lebenden Juden organisiert wurde, schon um drei Wochen zurück. Und diese hatte auch Menschen mit zwei jüdischen Großeltern in das nationalsozialistische Vernichtungsprogramm miteinbezogen.

Im Kommunistischen Untergrund

Auf den Spuren einer vergessenen Sozialistin_03Ilse Osterreich hat heute keine Erklärung dafür, wie es ihrer Großmutter damals gelungen ist, die jüdische Herkunft väterlicherseits ihrer Tochter zu verschleiern. Sie besitzt ein Foto ihres Großvaters Arnold Rubinstein (links). Das Foto ist echt, der Name nicht. Denn Rubinstein, der in Berlin unter zahlreichen Pseudonymen auftrat, war ein Mann des Untergrunds: Mit dem persönlichen Auftrag Lenins leitete er ab 1919 das sogenannte Westeuropabüro der Kommunistischen Internationalen in Berlin. Seine Aufgabe war es, die Revolution in Deutschland vorzubereiten, zumindest zu finanzieren, unvorstellbare Geldsummen flossen durch seine Hände und die seiner Frau.

Das Paar lebte bescheiden in konspirativen Wohnungen, darunter eine im Berliner Bezirk Reinickendorf. Rubinstein war ein Anhänger Trotzkis, doch nach 1924 verlor er an Einfluss. Gegen Ende der zwanziger Jahre näherte er sich gemeinsam mit seiner Frau der KPO, der Kommunistischen Partei Opposition, die sich nicht mit dem offiziellen Kurs der Parteiführung abfinden wollte. Sozialfaschisten wie die damalige SPD, so ihre Auffassung, gelte es stärker zu bekämpfen als die Nationalsozialisten. Ruth Oesterreich und Arnold Rubinstein traten gegen Ende der Weimarer Republik der Sozialistischen Arbeiterpartei SAP bei, einer linken Splitterpartei, die vielen heute deshalb im Bewusstsein ist, weil auch Willy Brandt ihr einst angehörte. Mitglied der SAP waren sie auch noch in Prag, wohin sie sich nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten gerettet hatten.

In Prag jedoch trennten sie sich. „Ich weiß nicht, wann das passiert ist“, sagt Ilse Oesterreich, doch fest steht: Vater Rubinstein verband sein weiteres Leben mit Annie Reich, der geschiedenen Frau des Psychoanalytikers Wilhelm Reich. Diese beiden konnten 1938 in die USA übersiedeln.

Auf der Flucht

Seine Ex-Frau hingegen blieb in der Tschechoslowakei politisch aktiv: Sie arbeitete für die Botschaft der Spanischen Republik und wurde Leiterin der Prager Abteilung des Schweizer Hilfswerks für Emigrantenkinder. Am 15. März 1938 marschierten die Deutschen ein. Mutter und Tochter Oesterreich gelang die Flucht nur knapp, sie muss traumatisch gewesen sein. „Meine Mutter wollte später nie mehr fliegen, und diese Angst ging auf die Flucht aus der Tschechoslowakei zurück“, erzählt Ilse Oesterreich, „ich gehe also davon aus, dass sie geflogen sind. Mein Großvater hat dann natürlich versucht, seine erste Frau und seine Tochter in die USA zu holen, aber es gab Quoten … . Es ging einfach nicht.“

Von  Dr. Birgit Schmidt

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