Auch Belgien will seine Kernkraftwerke stilllegen. Das jedenfalls wurde bereits vor zehn Jahren beschlossen. Der Ausstieg verläuft jedoch ausgesprochen zögerlich. Auch Alternativen lassen auf sich warten: Zurzeit beziehen die Belgier nur vier Prozent ihres Stroms aus erneuerbarer Energie, in Deutschland sind es zwanzig Prozent. Tom Weingärtner, Wirtschaftskorrespondent des Hessischen Rundfunks und des Rundfunks Berlin-Brandenburg, konstatiert einen bedenklichen Zickzackkurs der belgischen Regierung.
Belgien hält am Atomausstieg fest, hat es damit aber nicht mehr so eilig. Die Regierung hat Anfang Juni beschlossen, einen der drei Reaktoren, die 2015 vom Netz gehen sollten, bis 2025 weiter betreiben zu lassen. Die Begeisterung des Betreibers Electrabel hielt sich in engen Grenzen. Die französischen Eigentümer wollen erst das Kleingedruckte sehen. Schließlich hatten sie erst Ende 2009 einen Vertrag mit den Belgiern über die Schließung der sieben Reaktoren in Doel und Tihange abgeschlossen.
Seitdem ist die Atomkraft weiter in Verruf geraten. Die Kernschmelze in Fukushima hat gezeigt: Das Kartell von Politik und Kernkraftbetreibern stellt ein unkalkulierbares Risiko für den Betrieb der Reaktoren dar. Es existiert auch in Europa! Zweifel an der Sicherheit der Kernenergie sind also berechtigt.
Das löst aber noch nicht die Probleme, die mit dem Ausstieg verbunden sind. Belgien ist dafür ein gutes Beispiel. Bereits 2003 beschloss die damalige Regenbogenkoalition den Ausstieg – um sich dann anderen Problemen zuzuwenden. Ein Vergleich mit Deutschland, wo die rot-grüne Koalition etwa zur gleichen Zeit beschloss, sich von der Atomkraft zu verabschieden, verdeutlicht das Ausmaß des politischen Versagens in Brüssel. In Deutschland werden inzwischen 20 Prozent des Stroms (12 Prozent mehr als vor zehn Jahren) aus erneuerbaren Energien gewonnen, in Belgien sind es kaum vier Prozent.
Das bedeutet nicht, dass die Deutschen alles richtig gemacht haben. Tatsächlich haben sie das gleiche Problem wie die Belgier: seit fest steht, dass die Politiker auf Wind und Sonne setzen, um den Energiebedarf zu decken, baut niemand mehr andere Kraftwerke. Um den teuren Strom aus Wind und Sonne zu verkaufen, dürfen die Anbieter diesen Strom vorrangig ins Netz einspeisen. Das führt dazu, dass die übrigen Kraftwerke weniger Strom verkaufen. Immer mehr konventionelle Kraftwerke werden vom Netz genommen, weil sich der Betrieb nicht mehr lohnt. Deswegen war Electrabel ganz froh darüber, dass die Föderalregierung 2009 die Schließung der drei Atommeiler schon 2015 anordnete – versehen mit einer attraktiven finanziellen Entschädigung, versteht sich. Die wollen die Atommanager natürlich behalten und jetzt noch einmal dafür entschädigt werden, dass sie einen der drei Meiler weiter betreiben sollen.
Das kann man für gierig halten, Ursache der steigenden Kosten für den Atomausstieg ist aber der Zickzackkurs der Politiker. Und der Verzicht auf die Atomenergie wird in den nächsten Jahren noch teurer werden. Um Tihange am Netz zu halten, will die Regierung für alle Kosten des Reaktors in der Wallonie aufkommen. Dafür bekommt sie den Strom und verkauft ihn zum Marktpreis. Im Augenblick wäre das ein gutes Geschäft, aber niemand weiß, ob das so bleibt.
Ein noch größeres Risiko für den Staatshaushalt stellt das Förderprogramm für Gaskraftwerke dar. Sie werden nach dem Ende der Kernkraft gebraucht, damit bei einer Flaute die Lichter nicht ausgehen. Die Regierung wird den Betreibern eine bestimmte Rendite garantieren, damit sie neue Anlagen bauen. Um die Kosten im Rahmen zu halten, bekommen die Anbieter den Zuschlag, die die geringsten Kosten geltend machen. Damit kann man das Risiko reduzieren. Aber es wird nicht reichen, um ein Gaskraftwerk, das nur wenige Wochen im Jahr Strom produziert, rentabel zu machen. Für die Differenz muss der belgische Steuerzahler aufkommen. Melchior Wathelet, der Staatssekretär, der sich das ausgedacht hat, beruhigt: Wenn der Gaspreis sinke, werde es möglicherweise gar kein Defizit geben. Wer seine Energiepolitik auf solche Träume gründet, braucht sich nicht zu wundern, dass er nicht ganz ernst genommen wird.
Tom Weingärtner
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