Von Ferdinand Dupuis-Panther
Auf kulinarische Häppchen aus den Niederlanden und Belgien mussten die Besucher des Finales der Jazztage am 8. März 2025 verzichten. Dafür hatten die Musiker zwei brandneue Alben mitgebracht, aus denen sie Stücke wie „City Nights“, „Ornette Lee“ und „Black Beauty“ dem Publikum vorstellten. Und das war ein Ohrenschmaus ohne Frage.
Zunächst gehörte dem Ulli Jünemann Trio, feat. Jasper van’t Hof, die Bühne. Eigentlich muss man Jazzliebhabern über Jasper van’t Hof nichts mehr erzählen. Er ist seit Jahrzehnten auf den Bühnen Europas zu hören. Dabei muss unbedingt die legendäre Formation dieses Tastenvirtuosen erwähnt werden: Pili Pili, ein „Juwel der Fusion Music“. Auch andere Bands sind im Zusammenhang mit dem niederländischen Pianisten zu nennen, ob Pork Pie oder das Manfred Schoof Quintet und Association PC.
Neben dem Pianisten erlebten die Anwesenden beim Abschlusskonzert der Jazztage den in Mainz lebenden Saxofonisten Ulli Jünemann und den belgischen Gitarristen Jeanfrancois Prins. Prins „bekannte“ während des Abends im Lichthof von Stroetmanns Fabrik, dass Toots Thielemans sein erster Mentor war und dann sein zweiter Mentor Lee Konitz war.
„Thirds“ und mehr …
Voller Elan und Energie agierte Jasper van’t Hof am Flügel. Er schien Zeichen zu setzen, markante Zeichen, derweil sich Ulli Jünemann in erzählerischer Haltung zeigte. Eine gewisse Poesie breitete sich aus, auch und gerade durch die feinen Saiten-Linien, die Jeanfrancois Prins uns zu Gehör brachte. Versteckte Kehllaute des Saxofons füllten im Verlauf den Raum bei der Komposition von van’t Hof namens „Thirds“. Perlende und aufschäumende Klangbilder schuf der Pianist und Komponist des Stücks. Dieser wanderte zwischen diskanten und basslastigen Klangfärbungen hin und her. Es war ein Spiel mit Kontrasten, in die der Saxofonist in Phrasierungen antwortete. In einigen Passagen hatte der eine oder andere Zuhörer vielleicht das Bild von raschelndem Laub im Wind vor Augen.
Nachfolgend erlebten wir einen dichten Klangteppich, teilweise auch Anmutungen von Vogelstimmen. Zeitweise schienen sich beim zweiten Stück „We Three“ klangliche Nebelfelder auszubreiten. Aus diesen klang solitär das Altsaxofon von Ulli Jünemann. Angesichts des orchestralen Klangteppichs, den der Pianist auf Keyboards und mittels Laptop erzeugte, schienen wir auf einem fliegenden Teppich unterwegs zu sein. Hier und da drangen feinste Saitenklänge an unsere Ohren, die durchaus schmeichlerisch waren. Das Saxofonspiel erging sich nicht in einem Klangrausch, sondern war dezent gesetzt. Gleichsam wie ein Berserker des Klangs agierte der Pianist, dessen Klangwelt an Alan Parson und Mike Oldfield denken ließ. Und auch ein wenig Rhythm‘n Blues gab es, dank an den Gitarristen
Als wir „Silent“ hörten, war Stille abwesend. Statt dessen nahmen wir „schiere Klangkaskaden“ wahr. Tastenklänge wie umfallende gläserne Dominosteine waren essentiell in diesem Stück. Im weiteren erlebten wir Weichzeichnungen des Saxofons und mussten zum Teil an die Stimme von Nat King Cole denken, oder? Das Tastenspiel des Pianisten tanzte bildhaft gesprochen zwischen sich auftürmenden Meereswellen, auf denen sich Kite-Surfer ihrem Vergnügen hingaben. Über weite Strecken schien die musikalische Regie in den Händen van’t Hofs zu liegen, auch wenn es ein sehr schönes Duett zwischen ihm und dem Gitarristen des Trios gab.
Elektronische Klangteppiche wurden im weiteren Konzert ausgebreitet. Zugleich pflegte der Pianist ein Tastenspiel, das streckenweise im Crescendo und Furioso mündete. Man dachte an einen klanglichen Lavastrom, der uns da entgegenkam. Aber auch das Analoge kam zum Zuge, dank an das Saxofonspiel sowie in der Rede und Gegenrede des Saxofonisten und Gitarristen.
Neben dem Altsaxofon spielte Ulli Jünemann auch Sopransaxofon, teilweise im Ansatz wie Sidney Bechet. So wurde eine weitere Klangnuance mit Verve in den Konzertabend eingebracht. Hörte man da nicht auch Anklänge an ein Lullaby? Zum anderen mussten wir auch an Szenisches wie aus der Oper „Porgy and Bess“ denken. Zum Schluss des ersten Sets vernahmen wir Klangexplosionen, die teilweise an Pink Floyd anzuknüpfen schienen. Das war wohl das Stück „Three for All“, oder?
Hammondorgel ohne Leslie
Nach der Pause war es dann an dem Ulli Jünemann International Organ Quartet, feat. Bruno Castelucci Jazz vom Feinsten zu kredenzen. Vorgestellt wurde im Lichthof von Stroetmanns Fabrik das neue Album „City Nights“ des Ensembles. Zugleich wurde der 80. Geburtstag der belgischen „Jazzlegende“ Bruno Castellucci gefeiert. Über diesen Drummer lesen wir im Flyer: „Der Drummer, der schon mit Größen wie Chet Baker, Toots Thielemans, Al Jarreau und Jaco Pastorius spielte, prägt das Ensemble mit seinem einzigartigen Groove.“ Neben Ulli Jünemann (Saxophon) standen Jean-Yves Jung (Hammondorgel) und Jeanfrancois Prins (Gitarre) sowie der oben genannte Drummer Bruno Castellucci auf der Bühne.
Eine klassische Hammond B3 nebst Leslie stand nicht auf der Bühne. Jean-Yves Jung saß an einer digitalen Viscount-Orgel, die so klang wie eine klassische Hammond-Orgel. Sobald der Organist in die Tasten griff, wurden Erinnerung an Jimmy Smith und andere Musiker lebendig, die dieses Instrument im Jazz populär gemacht haben. Und dieser Höreindruck stellte sich auch bei „City Nights“ ein. Hörte man auf den Saxofonisten und Gitarristen, so vernahm man durchaus Bluesverwandtes. „Maybe not“ lautete der nachfolgende Titel, der aus der Feder des Organisten stammt. Gemäßigt war das Tempo, das bildlich gesprochen zur musikalischen Umsetzung eines Flaneurs an einem Sonntagnachmittag passte. Beim solistischen Auftritt von Jung schwangen Soul und Funk mit. Ja, die Musik an diesem Abend hatte Seele, war nicht spröde, sondern mitreißend. Mehr und mehr entwickelte sich die Spielfreude der Musiker auf der Bühne. Jazz wurde gelebt und nicht einfach abgeliefert.
Trommelschauer prasselten auf uns ein, und die Orgel verbreitete ihren wabernden mehrtönigen Klang. Ließ sich da Prins nicht auch auf ein Jamming mit dem Organisten ein? Man hatte den Eindruck! Und schließlich fegten noch die Trommelstöcke über die Becken und Felle, als Castellucci ein Solo zum Besten gab. Wow!
Prins, der zeitweilig in New York ansässig war, lud uns zu einem musikalischen Spaziergang in den „Central Park South“ ein. Frühlingshafte melodische Sequenzen hörten wir, mit und ohne Basslinien, die Prins auch anklingen ließ. Die Schönheit der Melodie stand im Fokus, auch als der Saxofonist aufspielte. Nachfolgend wurde mit „Blues for Mister Gone“ an Wayne Shorter erinnert, der statt mit Weather Report ins Aufnahmestudio zu kommen, einst lieber die brasilianische Sonne genoss. Ein Blues mit 8 to the bars erlebten wir zwar nicht, dafür einen wechselnden „Dreiklang“ von Gitarre, Orgel und Saxofon. Der Mimik der Musiker nach zu Urteilen hatten alle drei Beteiligten sehr viel Spaß am gemeinsamen Spiel.
Dass Prins auch eine gute Gesangsstimme hat, die in Teilen an die des Trompeters Chet Baker erinnert, unterstrich der Gitarrist beim Vortrag von „I Fall In Love Too Easily“. Neben dem Gesang jedoch wurde unsere Aufmerksamkeit auf das Solo des Saxofonisten gelenkt. Dabei konnte man schnell vergessen, dass dieser Jazz-Standard nicht zum ersten Mal interpretiert wurde. Noch ein weiterer Standard, nämlich aus der von Ira and George Gershwin geschriebenen Oper „Porgy and Bess“, stand auf dem Programm: „It Ain’t Necessarily So“. Sowohl die Intro des Saxofonisten als auch das Solo des Gitarristen war eine Klangfreude und Seelenbalsam zugleich, auch weil hier in Ansätzen der Blues aus dem Hut gezaubert wurde, wenn dieses Bild erlaubt ist.
Wir näherten uns schon der „Blauen Stunde“, aber der Spiellust der vier Musiker tat das keinen Abbruch, angesichts des begeisterten Publikum auch kein Wunder. Mit „Black Beauty“, aus der Feder des Saxofonisten, wurde an eine bekannte TV-Serie angeknüpft, in der ein Hengst die „Hauptrolle“ spielt. Angelehnt ist die Serie an den Roman der britischen Schriftstellerin Anna Sewell, die im 19. Jahrhundert (!!) lebte. Das Stück hat der Saxofonist seiner Tochter gewidmet und mit leichten lateinamerikanischen Rhythmen versehen. Wie einen sanft säuselnden Wind ließ Jünemann sein Instrument für die Anwesenden erklingen. Ob sich der eine oder andere an den schwarzen Hengst dabei erinnerte?
Zwei Granden des Jazz, Ornette Coleman und Lee Konitz, wurde mit „Ornette-Lee“ gedacht. Dabei schienen sich Rhythm `n Blues und Jazz Rock gelegentlich zu einer Melange zu verbinden. Stimmliche Verwirbelungen des Altsaxofons drangen an unsere Ohren. Bei Prins hatte man den Eindruck, er würde im nächsten Moment die Jazzgitarre in Richtung Rock `n Roll entwickeln. Schließlich hörten wir dann „Sunny“ mit einer sehr einprägsamen melodischen Linie zum Mitsingen. Doch damit war das Konzert noch nicht beendet, wenn auch so angekündigt. Noch einmal kam Jasper van’t Hof auf die Bühne und als Quintett wurde dem Publikum wahrlich eingeheizt, da der Pianist beim Tastenspiel kaum zu zügeln war. Aber dann war ein nachdrücklich im Gedächtnis bleibender Abend zu Ende.
© Fotos Ferdinand Dupuis-Panther
Tolle Kritik! . Beide Alben sind im pre-sale zu erhalten über gam-music.com oder pm an booking@jazzulli.de