Aktuell, Tourismus

Warm anziehen bei 35 Grad

 

Von Angela Franz-Balsen und Jürgen Klute.

Es wird immer heißer in Brüssel, da möchte man sich entweder nicht von der Stelle bewegen oder der aufgeheizten Millionenstadt den Rücken kehren. Als Alternative zum Küstentrip empfehlen wir einen Ausflug in die reizvolle und nahegelegene Stadt Namur, denn dort kann man sich auf eine erfrischende Reise durch 500 Jahre europäische Geschichte begeben.

Angenehm kühl ist es im Besucherzentrum „Terra Nova“ auf dem Plateau der mächtigen Zitadelle von Namur.  Ariane, in den kommenden 90 Minuten unsere Führerin durch das Tunnelsystem der Festung, greift eine Fleecejacke, die zu ihrem grünen Museums-Outfit gehört, und bindet sie sich um die Taille. Sie mahnt die startbereiten Besucherinnen und Besucher, sich noch etwas Wärmeres mit auf den Weg zu nehmen, denn mit den Außentemperaturen habe das Klima in „Les Souterrains“ der Befestigungsanlage nichts zu tun. Ich hole die Socken aus  den Taschen meines Fleece und ziehe sie schnell noch an, wir sind  gut ausgerüstet angereist.

Die Zitadelle von Namur ist an der Mündung des Flüsschens Sambre in die Maas entstanden, dort wo die Natur mit einem hohen Felsen, der das Flusstal überragt, eine geostrategisch einmalige Situation geschaffen hat. Seit rund 2000 Jahren haben die Menschen das genutzt, so Ariane in ihrem audiovisuell untermalten Einführungsvortrag. Dann steigt sie  mit der Gruppe ein in das 4 km lange Tunnelsystem, das seit 500 Jahren von den verschiedenen Besatzungsmächten Franzosen, Österreicher, Spanier, Deutsche und Holländerals Verteidigungsbastion  erweitert und kriegstechnisch aufgerüstet wurde. Der Ausbau folgte jeweils der gesteigerten Reichweite der Artillerie, der wirkungsvollsten Waffe gegen Befestigungsanlagen zu jenen Zeiten.  

Multimediales Ausstellungskonzept

Wie hat man denn vor 500 Jahren überhaupt solche Tunnel graben können? Es gab damals ja nicht nur keine leistungsfähigen Maschinen zum Bohren von Tunneln, sondern ebensowenig moderne Belüftungstechniken und erst recht keine High-Tech-Navigationsgeräte, mit denen man zuverlässig Tiefe und Richtung des Tunnelbaus bestimmen konnte, um den gewünschten Tunnelverlauf zu erzielen. Vor allem für die mit Schießscharten versehenen Verteidigungstunnels war ein präziser Verlauf unerlässlich. 

Diese  und viele andere Fragen zu den heute raffiniert illuminierten Gängen und Kammern beantwortet nicht nur Ariane selbst, sondern Videoinstallationen, Trickfilme und Spielfilmszenen werden durch einen Klick mit ihrem Badge an Stationen des immer tiefer hinunter führenden Rundgangs ausgelöst. Die Animationen illustrieren die Konstruktionsweise der Tunnel in verschiedenen Zeitaltern,  die Tunneltypen, die Verteidigungs- und Versorgungssysteme so unterhaltsam, dass die Zeit im Flug vergeht. Nur wer nur unvorbereitet im T-Shirt unterwegs ist, rubbelt schon mal seine Arme warm und wünscht das Licht am Ende der Gänge herbei.

Man kommt mit dem Fotografieren kaum nach, denn es gibt auch schemenhafte Figuren in Nebengängen und Kammern festzuhalten, man meint, Soldaten die Treppen und Gänge entlang huschen zu sehen. Besonders beeindruckend ein Soldat mit einem Zettel in der Hand, dazu ertönt eine Botschaft des belgischen Königs an die Soldaten, die im 2. Weltkrieg in einem giftgassicheren Bunker ohne Ventilation ausharrten, durchzuhalten bis der Naziansturm vorbei sei. 

Wie in einem Brennglas zeigt die Geschichte der Zitadelle von Namur mit ihrer wechselvollen Kriegs- und Besetzungsgeschichte die friedenspolitische Bedeutung der EU. Heute ist die Festungsanlage ein Ort, an dem Bürger und Bürgerinnen und Familien friedlich ihre Freizeit verbringen, Kulturveranstaltungen besuchen oder eben die ehemaligen Festungsanlagen, die als Museum fungieren, besichtigen. Dass die europäischen Gesellschaften heute nicht mehr ihre Konflikte mittels Kriegen klären, sondern auf demokratisch-parlamentarischem Wege, ist der EU zu verdanken. Ganz nebenbei vermittelt der Besuch der Zitadelle auch einen Eindruck von den immensen Kosten, die eine kriegerische Konfliktlösung erfordert. Dieses Geld kann sehr viel sinnvoller angelegt werden, wenn es gelingt, politische Konfliktlösungen zum Standard zu machen. Auch deshalb lohnt ein Besuch der Zitadelle.

Unmerklich sind wir wieder nahe der Oberfläche angekommen, Ariane öffnet eine sehr dicke Stahltür, wir treten ins gleißende Sonnenlicht und haben eine Temperaturdifferenz von 20 Grad zu bewältigen – kein Problem, die Hitze ist nun willkommen.

Das Plateau des Forts bietet einen wunderschönen Blick über den Zusammenfluß von Samur und Maas und das Panorama des Maas-Tals.  Auf dem Wasser ziehen kleine Ausflugsboote ihre Runden. Bei diesem Ausblick stärken wir uns in einem Bistro, das  im Hof des ursprünglichen Schlosses gelegen ist. Danach erfolgt dann der Abstieg in die Altstadt, die über Brücken schnell zu erreichen ist. 

Shopping auf hohem Niveau

Hier gilt es, das Portemonnaie festzuhalten, denn ein schöner kleiner Laden reiht sich an den anderen, dazu ein multikulturelles Gastromieangebot in kleinen engen Fressgässchen.  Heute wird auf vielen Plätzen musiziert, es ist Fête de la Musique, die Menschen schlendern entspannt, die Hände voller Einkaufstüten. Als Provinzhauptstadt ist Namur nicht nur Verwaltungssitz, sondern auch ein gediegenes Shoppingzentrum für die Bevölkerung im Süden des Landes. 

Kulturell hat Namur ebenso Einiges zu bieten, Museen und Theater, Festivals. Außerdem kann man auf kleinen Ausflugsbooten die Stadt und die Zidadelle auch von den beiden Flüssen Maas und Sambre erleben. Also: Auf in die Hauptstadt der Wallonie, am besten mit Bahn und Bus (siehe unten).

 

Praktische Information

Touristinfo Stadt: https://www.namurtourisme.be/de/

Übersicht Zitadelle:   https://citadelle.namur.be/

Anreise nach Namur per SNCB zweimal pro Stunde ab Brussel Central, Schuman  oder Luxembourg, Fahrtzeit 51 Minuten

Busverbindung zur Zitadelle vom Bahnhofsvorplatz, TEC-Bus Nr. 3 Fahrtrichtung „Citadelle“

Anfahrt per Auto:  https://citadelle.namur.be/infos/se-rendre-a-la-citadelle/acces

Das Terra Nova Besucherzentrum ist vom 30. März bis 29. September täglich von 10:00 bis 18:00 Uhr geöffnet, während der Schulferien bis 18:30 Uhr. Der Eintritt für die empfohlene Führung durch das Tunnelsystem kostet 8.00 EUR für Erwachsene, mit Ermäßigung 7.00 EUR, Kinder zahlen nicht.

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