Von Thomas Philipp Reiter.
Es hat ein bisschen gedauert, bis auf der Avenue Louise die hupenden und schwarz-gelb-rote Fahnen schwenkenden Menschen in Autokorsos zu hören waren. Belgier sind eben nicht so leicht in nationale Wallungen zu versetzen. Aber dass es überhaupt geht, ist für langjährige Belgienbewohner die eigentliche Überraschung.
Der 2:1-Erfolg der belgischen Fußballnationalmannschaft am Freitagabend ausgerechnet gegen Brasilien und der damit verbundene Einzug ins Halbfinale der Fußballweltmeisterschaft 2018 in Russland heilt diverse Traumata. Und noch ist die Reise nicht zuende. Mit Herz, Verstand und unbändigem Kampfgeist haben die Roten Teufel eine 2:0-Führung aus der ersten Halbzeit (durch ein Eigentor von Fernando Luiz Rosa in der 13. und ein perfekt platzierter Flachschuss ins linke Eck von Kevin De Bruyne in der 31. Minute) in den größten belgischen Erfolg seit der WM 1986 in Mexiko verwandelt. Damals scheiterte man auch aufgrund schiedsrichterlicher Fehlentscheidungen im Halbfinale mit 0:2 an Argentinien. Diesmal wartet Frankreich, das schon im letzten Freundschaftsspiel 2015 mit 3:4 gegen die Belgier verloren hat. Marouane Fellaini und Eden Hazard waren damals bereits dabei.
Geheimfavorit? Favorit!
Zusammen mit Kevin De Bruyne (Bild), der vom zentralen Mittelfeld zunehmend offensiver in den gegnerischen Strafraum rückt, dem Ex-Anderlechter Romelu Lukaku und dem in jeder Hinsicht großen Chelsea-Torhüter Thibaut Courtois bilden sie der Kern der sogenannten “goldenen Generation” des belgischen Fußballs, die der katalanische Trainer Roberto Martínez geformt hat. In der deutschen Fußballberichterstattung wird selten vergessen zu erwähnen, dass es sich bei dieser belgischen Mannschaft um “Geheimfavoriten” handelt, und man das “Geheim” nun endlich streichen müsste. Dennoch konnte auch Bela Réthy, ganz geschlechterneutral einer der besseren deutschen Fußballkommentatoren, seine heimliche Sympathie für Brasilien kaum verhehlen. Nun musste ausgerechnet er die letzte südamerikanische Mannschaft aus dieser WM verabschieden. Und die Welt stellt mit Erstaunen fest, dass der Fußball aus Belgien ähnlich lecker ist wie belgische Pralinen und belgisches Bier.
Noch ist die WM nicht vorbei, aber mit Frankreich und dann möglicherweise wieder England ist die Aussicht auf das Unglaubliche – den ersten Stern auf dem roten Trikot – alles andere als unrealistisch. Und dann? Der Einzug ins Halbfinale unter Ausschaltung des Rekordweltmeisters Brasilien mag eine vorübergehende Euphorie auslösen. Was aber würde es bedeuten, wenn Belgien 2018 tatsächlich Weltmeister würde?
Export
Das schiefe Image Belgiens bei seinen europäischen Nachbarn wäre wenigstens eine Zeitlang geradegerückt. Waren aus dem Weltmeisterland würden sich insbesondere in den fußballerisch gescheiterten Nachbarländern Niederlande und Deutschland steigender Beliebtheit erfreuen. Stella Artois oder Jupiler statt Coca-Cola als zukünftiger Hauptsponsor einer Fußball-WM? Alles andere als undenkbar.
Föderalregierung
Sportliche Erfolge helfen immer auch den Herrschenden, so wie der Gastgeber Wladimir Putin die Ausrichtung dieser WM auch geschickt als Propagande-Spektakel nutzt. Aber auch Premierminister Charles Michel dürfte auf der Euphoriewelle mitschwimmen. Wiederwahl nicht ausgeschlossen.
König
S.M. Philippe, König der Belgier, verkörpert glaubwürdig ein Staatsoberhaupt, das die Märchenwelt einer Monarchie mit der harten Realität des politischen Alltags zu versöhnen weiß. Das Märchen, König eines Weltmeisterlandes zu sein, dürfte unvergleichlich sein. Der Neid und die Bewunderung sämtlicher republikanischer Staatsoberhäupter auch im Berliner Schloss Bellevue wäre ihm sicher.
Bart De Wever
Während sich seine Partei N-VA als Bestandteil der Föderalregierung inzwischen vom flämischen Separatismus weg hin zu einer all-belgischen bürgerlichen Bewegung entwickelt, kommt deren flämisch-nationalistischer und charismatischer Anführer, der Antwerpener Bürgermeister Bart De Wever, mit dem Erfolg der Roten Teufel nicht so gut klar. Allein der Begriff “belgische Nationalmannschaft” dürfte ihm Schweißperlen auf die Stirn treiben. Es bleibt ihm nichts, als – wenig originell – zu betonen, dass Fußball nicht sein Sport sei und er Basketball, natürlich aus Antwerpen, bevorzugt.
Tourismus
Bislang ist Belgien insbesondere bei Deutschen regelmäßig mit Blick auf die Nordseeküste zwischen den Niederlanden und Frankreich im toten Winkel gefahren. Das könnte sich ändern: der Besuch zum Beispiel der flämischen Perlen Brügge und Ghent, aber auch von Brüssel und sogar Ostende könnte zukünftig mit Groundhopping und dem Besuch eines Spiels der belgischen ersten Fußballiga verbunden werden. Eine Verbindung, die insbesondere für britische Reisende alles andere als ungewöhnlich ist. Schade dass der Deutsche Jürgen Baatzsch seine Anteile am Brüsseler Zweitligisten Royal Union Saint-Gilloise gerade an den englischen Pokerspieler Tony Bloom verkauft hat. So profitiert er nicht mehr vom möglicherweise aufkommenden Boom.
Fußball-Fanclub “Rote Teufel Brüssel”
Deutsche und andere deutschsprachige Einwohner Brüssels, die vom Abschneiden der DFB-Elf enttäuscht sind, haben einen Zufluchtsort. Der einzige deutschsprachige und offiziell vom belgischen Fußballbund anerkannte Fanclub der Roten Teufel in Brüssel versammelt schon jetzt Fußball-Connaisseure, die das Ungewöhnliche lieben. Den Weltmeister Belgien zu unterstützen und über Fußball, Brüssel und Belgien zu fachsimpeln, gehört sicher zum angenehmeren Zeitvertreib, den man sich in der europäischen Hauptstadt leisten kann. (Kontakt: fanclub@rote-teufel.be)
Hallo liebe Leute,
wisst Ihr , ob es einen Empfang der Devils nächste Woche in Brüssel gibt? Dem würden wir dann gerne beiwohnen
Vielen Dank für eine Information und einen freundlichen Gruß