Kultur

Vom Einklinken und Mitschwimmen

Severin, Koßmann

Ein Gespräch mit  Pfarrer Wolfgang Severin von der Sankt Paulus Gemeinde und Pfarrer Frederik Kossmann von der Emmausgemeinde. Ulrich Hüschen befragte die Pfarrer der beiden deutschsprachigen Gemeinden in Brüssel. Seine erste Frage lautete: In der Evangelischen Gemeinde gibt es Abkündigungen‹, in der katholischen Gemeinde Vermeldungen‹. Ein Detail oder ein Indiz, dass wir in verschiedenen Sprachwelten leben?

Severin: Es ist nicht einfach, das an etwas festzumachen, aber ich würde sagen, dass es so etwas wie einen katholischen oder evangelischen ›Stallgeruch‹ gibt, der sich natürlich auch in Sprache niederschlägt.

Koßmann: Nachdem in der Predigt das Wort Gottes ausgelegt wird, wird dann gesagt, was konkret in der Gemeinde geschieht. Dadurch ist die Lebenswelt der Gemeinde auch Teil des Gottesdienstes, was ich so in der Eucharistiefeier der Katholischen Kirche nicht sehe. Kann man das voneinander loslösen?

Severin: Ein wenig karikiert formuliert: Ja, das ist möglich, denn in dem starren Gebilde der Eucharistie ist nicht so wichtig, was darum herum geschieht, Hauptsache, es wird Messe gefeiert. In den Messgebeten wird etwas in die Welt gesetzt, die Wirklichkeit Gottes. Da kann nichts verändert werden, und man darf als Priester keine Fehler machen.

Koßmann: In unserem Verständnis tritt die Gemeinde als Gemeinde vor Gott. Das ist der entscheidende Unterschied. Der Liturg ist sozusagen der ›Klassensprecher‹, der sagt was die Gemeinde vor Gott bringen will. Daher können Gebete in keiner Weise vorgeformt werden. Die Gemeinde muss am Ende .Ja, Amen. sagen können.

Severin: Das Volk Gottes hat zwar seit dem Zweiten Vatikanum einen grundsätzlich wichtigen Anteil am Gottesdienst (Stichwort: ›allgemeines Priestertum aller Gläubigen‹) und kann seitdem auch an der Vorbereitung beteiligt werden, indem Fürbitten, andere Gebete, Lieder und Texte ausgewählt werden. Dennoch ist das Messbuch, in dem bestimmte Teile der Messe niedergeschrieben sind, verbindliche Grundlage der Messe. Vor allem das sogenannte Hochgebet darf offiziell nicht verändert werden.

 

Prister und Pfarrer

Koßmann: Der Unterschied liegt auch im ungleichen Verständnis von Priester und Pfarrer. Der eine ist vom Bischof geweiht, der andere ordiniert, eine ins Amt gesetzte Person.

Severin: Das andere Priesterverständnis geht einher mit einem anderen Gemeindeverständnis und prägt damit auch die Sprache. Der Priester ist vom Bischof geweiht und setzt durch die korrekt gesprochenen Wandlungsworte das ›Opfer Jesu gegenwärtig‹. Damit bekommt der Priester eine Schlüsselrolle für die Eucharistie zugewiesen, was naturgemäß auch für ihn persönlich ein anderes Selbstverständnis bedeutet.

Koßmann: Das ist anders im protestantischen Raum. Hier bin ich ein ganz normaler Mensch, der verkündet und die Sakramente verwaltet. Zurück zur Sprache: In der Katholischen Kirche gibt es viel verfasste Sprache, während im Protestantismus das Gebet meistens neu formuliert wird. Idealerweise geht der Pfarrer durch die Gemeinde, schaut was los ist und bringt dies am Sonntag vor Gott.

Severin: Der reinen Lehre nach kann man im katholischen Raum da wohl höchstens die Fürbitten anführen. Alles andere ist mehr oder weniger festgefügt und verdeutlicht damit die feststehende Bedeutung des ›Opfers Jesu Christi‹. Die Liturgie steht da als Fels der Kirche. Da kann die Welt untergehen, das wird bestehen.

Koßmann: Im Gegenzug kann man anführen, dass im Katholischen das Prinzip des Göttlichen stärker zum Ausdruck kommt.

Severin: In der Tat, das Prinzip des Mystagogischen öffnet einen Raum, dem ›Göttlichen‹ zu begegnen, wie zum Beispiel in der Wandlung von Brot und Wein. Im Protestantischen ist das vermutlich eher nicht so vorgesehen oder gewollt?! Die festgefügten Formeln in der kath. Liturgie sollen dazu beitragen, etwas Sicheres, etwas Unvergängliches, das Ewige auszudrücken.

 

“Protestantische Geschwätzigkeit”

Koßmann: Das ist genau etwas, was im Protestantismus versucht wird, nämlich wie wir das Heilige wieder zurück in den Gottesdienst bekommen. Lange Zeit haben wir unter dem Begriff ›Gottesdienst menschlich‹ versucht, alles zu erklären und den Menschen mitzunehmen. Glaube ist aber auch etwas Geheimes, und das wird auch manchmal zerredet. Martin Nikol hat mal von der protestantischen Geschwätzigkeit gesprochen, die alles erklären, aber nichts mehr erfahren lassen kann. Da ist im Katholischen mehr Raum: .Ich verstehe nicht alles, kann aber alles mitfeiern.

Severin: Bei uns gibt es die umgekehrte Gefahr. Zeichen und Symbole funktionieren nur, wenn die Leute damit etwas verbinden. Da muss man mehr erklären.

Ein Pfarrer meiner Kindheit sagte einmal über seine Predigten: »Nicht länger als 5-7 Minuten, danach schalten die Leute ab!«

Koßmann: Die Predigtlehre ist im Protestantismus stark ausgebaut. Ein Gottesdienst ohne Predigt geht nicht, ohne Eucharistiefeier schon. Das ist im Katholischen eher umgekehrt. Der reformierte Gottesdienst sieht eine Predigt von 20 bis 30 Minuten vor. Das muss man erst mal hinbekommen.

Severin: Manchmal denke ich, dass ich zu wenig Zeit in der Predigt habe. Manche Dinge muss man auch mal erklären können.

 

“Pausen sind hier ganz wichtig”

Koßmann: Eine gute Predigt ermöglicht auch, für kurze Zeit auszusteigen und sich dann wieder einzuklinken. Pausen sind hier ganz wichtig. Verschiedene Aspekte sollten wie im Kino hintereinander ›gesetzt‹ werden.

Severin: All das ist richtig, aber vom Verständnis der Messe her steht die Predigt nicht im Zentrum, auch wenn es die Leute mehr und mehr umgekehrt sehen. Eine gute Predigt wird geschätzt.

Koßmann: Wenn man die Leute fragt, was ein guter Gottesdienst ist, kommt die Antwort: Wenn die Predigt gut war. Muss die Eucharistiefeier ›gut‹ sein?

Severin: Das wird vorausgesetzt, aber wann ist eine Eucharistiefeier ›gut‹? Antwort: Wenn die Texte gut sind, wenn man es der Person des Priesters glaubt. Es muss authentisch sein. Jede Zeit hat ihre Modewörter.

Bestimmte Schichten und Altersgruppen, insbesondere Jugendliche haben ›ihre‹ speziellen Ausdrücke. Wie geht man damit um?

Koßmann: In der protestantischen Predigtlehre wird viel an Möglichkeiten aufgenommen in Methoden und Wortwahl. Es gibt die poetische Rede und besondere Formen wie den ›Slam‹. Ich kann nicht immer dasselbe machen. Die christliche Lehre ist vorgegeben, muss aber in ihre Zeit gesprochen werden. Eine Predigt der Jahre 1914-1918 enthielt aus unserer Sicht viel Furchtbares, aber auch Gutes. Genauso ist es für die 68er Jahre, die 80er und so weiter.

 

Vom Zeitgeist geprägt

Severin: Wir sind halt vom Zeitgeist geprägt. Muss man zum Beispiel in einem Jugendgottesdienst anders sprechen? Ja, aber man sollte nicht eine Sprache verwenden, die nicht die eigene ist. Das geht nicht.

Koßmann: Nichts ist peinlicher, als sich in einem Gottesdienst an Jugendliche ›anzuwanzen‹. Man sollte nur Worte gebrauchen, die man auch selber verwenden würde. Sprache hat die Tendenz sich abzunutzen. Was heute frisch klingt, kann bald schon schal, abgenutzt sein. Provokant gefragt: Hat die katholische Kirche es da einfacher mit ihren durch Tradition und Amt ›abgesegneten‹ Texten als der evangelische Pastor, der jeden Sonntag mit der Predigt im Zentrum die Welt neu erfinden muss?

Koßmann: Ich wundere mich häufig über bestimmte katholische Gebete und frage mich, was das denn mit meiner Lebenswirklichkeit zu tun hat? Da merke ich, dass der Pfarrer ein Gebet nur vorliest, damit es gebetet wird. Da bin ich protestantisch, indem ich sage: Ich als Liturg nehme auf, was gerade wichtig ist, damit die mitbetende Gemeinde sagen kann. Ja!

Severin: Bei uns ist es wohl eher so, dass die Menschen sich einfügen sollen in das allgemeine Gebet der Kirche. Da ist es nicht so wichtig, wie das formuliert wird. Man ist eingebunden in den großen Strom, den Heiligen Geist, die heilige Kirche. Meine persönlichen Anliegen sind in den allgemeinen Gebeten aufgehoben.

Koßmann: Wir als protestantische Liturgen geben auch Sprachhilfe. Wenn der Pfarrer es ›gut‹ sagt, sage auch ich .Ja genau, Gott, so ist es.

Severin: Mancher evangelische Pfarrer wird da aber fürchterlich überfordert sein, wenn hundert Leute sich in der Predigt aufgehoben fühlen sollen.

Koßmann: Das ist in der Tat schwierig. Die Leute sollten deshalb die Möglichkeit haben, sich an verschiedenen Stellen einzuklinken.

Severin: Unsere vorgefertigten Gebete gehen den anderen Weg. Es ist so allgemein formuliert, manchmal auch so fremd, dass es schwerfällt, sich da einzuklinken. Hingegen erlaubt dies mir, dass ich auf dieser Matrix meinen eigenen Gedanken nachgehen kann. Man schwimmt sozusagen mit, sodass man sich nicht in jedem Gebet wiederfinden muss.

 

Jeden Sonntag komplett neu gestalten?

Koßmann: Das ist auch eine Art von Freiheit, die diese vorformulierten Gebete bieten. Ich kann abschweifen mit eigenen Geschichten und bin mit den Gesängen wieder dabei.

Severin: Und es ist zur Vorbereitung für den Liturgen wesentlich einfacher. Man muss nicht jeden Sonntag komplett neugestalten.

Letzte Frage: Ganz spontan, welches ist für Sie die sprachlich schönste Bibelstelle, die selbst den größten Atheisten entzücken würde?

Koßmann: Bertholt Brecht hat einmal auf die Frage nach seinem Lieblingsbuch geantwortet: Die Bibel!.

Severin: Mit fällt da Psalm 8 ein: Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst? Du hast ihn nur wenig geringer gemacht als Gott, du hast ihn gekrönt mit Pracht und Herrlichkeit.. Hier finde ich ein großartiges Menschenbild, welches zeigt, dass Gott den Menschen als etwas Gutes geschaffen hat.

Koßmann: Da würde ich voll mitgehen. Und natürlich nicht zu vergessen das Hohe Lied der Liebe bei Paulus.

Severin: Nicht zu übersehen im Stein vor unserer Kirche: 1 Kor 13.

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Wenn ich in den Sprachen der Menschen und Engel redete, hätte aber die Liebe nicht, wäre ich dröhnendes Erz oder eine lärmende Pauke.
Und wenn ich prophetisch reden könnte und alle Geheimnisse wüsste und alle Erkenntnis hätte; wenn ich alle Glaubenskraft besäße und Berge damit versetzen könnte, hätte aber die Liebe nicht, wäre ich nichts….
13 Für jetzt bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; doch am größten unter ihnen ist die Liebe. (1 Kor 13.)
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Fragen und Redaktion Ulrich Hüschen

Mit freundlicher Genehmigung aus dem Ökumenischen Gemeindebrief der deutschsprachigen Brüsseler Gemeinden entnommen.

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