Von Marion Schmitz-Reiners.
Dokumentarfilme aus Antwerpen um 1900 und eine Aufführung der Komödie „Die Austernprinzessin“ von Ernst Lubitsch, musikalisch begleitet von dem deutschen Stummfilmpianisten Stephan Graf von Bothmer: Damit feierte das Antwerpener KULTURforum den 60. Jahrestag der Unterzeichnung des Belgisch-Deutschen Kulturabkommens. Selbst aus Deutschland waren ehemalige „Antwerpener Deutsche“ gekommen, um sich den Abend nicht entgehen zu lassen. Ehrengast war Botschafter Rüdiger Lüdeking.
Der Antwerpener Konzertsaal AMUZ, eine ehemalige Augustinerkirche, war am 17. Februar fast bis auf den letzten Platz gefüllt. Die wenigsten der Gäste aus Diplomatie, Wirtschaft und der „deutschen Kolonie“ Antwerpens hatten jemals einen Stummfilm mit Live-Musikbegleitung gesehen. Begeisterung herrschte im Saal: Vier Dokumentarfilme aus dem Antwerpen des beginnenden 20. Jahrhunderts wurden kongenial von dem deutschen Komponisten und Pianisten Stephan Graf von Bothmer begleitet.
Auf die bewegten Schwarzweißbilder von Schelde, Hafen, Liebfrauenkathedrale, Flaneuren, Eisverkäufern oder Zoo folgte ein cineastischer Leckerbissen: die Vorführung der unsterblichen Stummfilmkomödie „Die Austernprinzessin“ von Ernst Lubitsch. Ein in jeder Hinsicht „einmaliger“ Abend: Stephan von Bothmer entwickelt für jedes Konzert eine neue Filmmusik. Wir sprachen mit dem 45-jährigen Musiker.
Sie waren heute zum ersten Mal in Antwerpen. Wie schaffen Sie es, einen Dokumentarfilm über eine Stadt zu vertonen, die Sie nicht wirklich kennen?
Ich habe das aus mehreren Archiven stammende Filmmaterial schon vor einigen Wochen erhalten. Eigentlich wollte ich die Vertonung so anpacken wie die von Dokumentarfilmen über Berlin. Gestern Abend habe ich aber in einer Antwerpener Kneipe gemerkt, dass das nicht funktionieren würde. Berlin hat etwas Melancholisches, Zerrissenes. Antwerpen ist heiter und burgundisch. Da musste ich mein Konzept im letzten Augenblick gründlich anpassen.
Sie schreiben Ihre Kompositionen also nicht auf?
Nein, es gibt sie nur in meinem Kopf. Die Vertonung eines Films hängt ja auch vom Publikum ab. Heute Abend habe ich es schon vor dem Filmkonzert an der Bar kennengelernt. Es war festlich und fröhlich gestimmt. Und dann kommentiere ich ein monumentales Gebäude wie den Antwerpener Zentralbahnhof lieber mit fröhlichen Dur- als mit dramatischen Moll-Akkorden.
Für die Doku „Antwerpen in den Jahren um 1910-1920“ wurden Aufnahmen von zahlreichen Antwerpener Sehenswürdigkeiten aneinander geschnitten. Ist es nicht schwierig, solche Fragmente musikalisch miteinander zu verbinden?
Ich frage mich dann immer, wo die Einheit ist. Wo ist die Liebe? Wann sind die Leute im Park? Welche Bewegungen machen sie? Und dann fällt mir ein zusammenhängender „Soundtrack“ ein.
Wenn Sie den Antwerpen-Abend noch einmal wiederholen könnten, wäre die Musik dann die gleiche?
Nein, denn ich lerne jeden Tag hinzu. Bei einem weiteren Spaziergang durch Antwerpen würden sich sicherlich neue Eindrücke ergeben, die die Filmmusik beeinflussen würden.
Gibt es eine Art von „originalem Soundtrack“ für Stummfilme, zum Beispiel für die „Austernprinzessin“?
Ja, es gibt eine erste Vertonung. Aber die ist in der Regel überholt. Ich arbeite gerade intensiv an einem Lutherfilm aus dem Jahr 1927. Luther wird darin als ausgesprochen heroisch dargestellt. Das würde heute nicht mehr ankommen. Man kann einen Film mit Musik in die Gegenwart hineintragen. Die Kraft der Bilder wird dadurch nur noch stärker.
Ist das nicht unglaublich anstrengend, dieses ständige Ad-hoc-Reagieren auf die Bilder?
Wenn ich „Metropolis“ begleite, einen Film von zweieinhalb Stunden Länge, dann bin ich hinterher ausgelaugt. Heute Abend gab es aber eine Pause…
Ist es Ihnen schon einmal passiert, dass Sie beim Spielen den Faden verloren haben?
Durchaus. Als ich bei einem Filmkonzert in Kasachstan nicht mehr weiter wusste, habe ich eine Minuten lang das rechte Pedal gedrückt, bis ich mich gefangen hatte. Später habe ich erfahren, dass das Publikum tief beeindruckt war von dieser Minute (lacht).
Informationen
Das KULTURforum Antwerpen bündelt, fördert und organisiert gemeinsam mit Partnern aus der akademischen und Kulturwelt, darunter dem Goethe-Institut, sowie mit Partnern aus Industrie und Diplomatie deutsche Kulturangebote in Antwerpen.
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Foto Stephan von Bothmer auf der Cogels-Osylei in Antwerpen: © Ine Van linthout
Foto Filmkonzert im AMUZ: © Frederik Beyens
Foto Austernprinzessin: Archiv
Schade dass ich nicht eingeladen wurde. Ich habe auch Bilder dieser Epoche wo mein Großvater Sinalco verkaufte (1908-1913)