Von Pascal Arimont.
Massive Probleme bei der Unterbringung von Asylsuchenden. Das Massensterben im Mittelmeer. Hass- und Gewaltattacken auf Flüchtlingsheime. All das verdeutlicht, dass sich Europa nur unzureichend auf die aktuelle Flüchtlingskrise vorbereitet hat. Dennoch versuchen viele europäische Mitgliedstaaten den Eindruck zu vermitteln, die Probleme nach wie vor alleine lösen zu können – etwa durch strengere Grenzkontrollen oder eine Einschränkung des bestehenden Schengen Raums, sagt der ostbelgische Abgeordnete zum Europäischen Parlament, Pascal Arimont (CSP/EVP).
Auch in Belgien ist das Thema schon lange angekommen. Hier wie überall ist die Angst vor überwältigenden Flüchtlingsströmen spürbar. Auch hier versuchen Populisten aus der Situation kurzfristig Profit zu schlagen. Da wird nicht einmal Halt davor gemacht, Menschen in A- und B-Kategorien einteilen zu wollen, wie es N-VA-Chef Bart De Wever in der vergangenen Woche getan hat. Das ist inakzeptabel, schließlich sprechen wir über Menschen, die sich in vielen Fällen aus guten Gründen auf der Flucht befinden.
Bei der Diskussion rund um die Flüchtlingskrise müssen wir uns insgesamt im Klaren darüber bleiben, dass rein nationale Lösungen nicht die Antwort sein können. Die Flüchtlingskrise ist viel zu gravierend und umfangreich, als dass sie von den Nationalstaaten alleine gemeistert werden könnte. Diese Flüchtlingskrise ist ein gesamteuropäisches Problem, das nur durch gemeinsame europäische Anstrengungen gelöst werden kann. Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat daher richtig erkannt, dass eine gesamteuropäische Antwort dringend notwendig ist. Er hat verschiedene Maßnahmen vorgeschlagen, damit die Flüchtlingsströme innerhalb Europas schneller und fairer als bisher verteilt werden können.
Massiver Widerstand
Seine Vorschläge stießen jedoch auf massiven Widerstand seitens der Regierungen, die die bisweilen mangelnde Aufnahmebereitschaft in ihren Ländern berücksichtigen wollten. Wie so oft ist also das Problem, dass die einzelnen Mitgliedstaaten genau das tun, was man der EU als Institution immer wieder gerne vorwirft: bestehende Fehlentwicklungen zu ignorieren und keine klaren und mutigen Entscheidungen zu treffen. Wie so oft lassen sich hier aber auch keine einfachen Rezepte liefern. Die Wahrheit liegt wie immer in der Mitte: Zwischen dem “Alle rein!” und dem „Schotten dicht!“ muss eine praktikable Lösung gefunden werden.
Ignorieren kann die aktuelle Lage jedenfalls niemand mehr. Die Flüchtlingskrise ist nicht mehr abstrakt, sondern steht direkt vor unserer Haustür. Wir müssen sie also nicht nur in Sonntagsreden behandeln, sondern sie politisch anpacken und zügig nachvollziehbare Pläne und Lösungen entwickeln. Der Druck ist bereits groß genug und deutlich spürbar.
Die von der Kommission vorgeschlagene Quotenregelung war ein erster Schritt in diese Richtung. Auch müssen endlich einheitliche Kriterien vereinbart werden, die festlegen, wann ein Land als „sicher “ eingestuft werden kann. Es ist nicht nachvollziehbar, dass Bürger aus Staaten, die EU-Beitrittskandidatenländer sind, in der EU Asyl beantragen. Eine klare Auflistung sicherer Länder kann lange Prozeduren verringern und sie für den gesamten europäischen Raum vereinfachen.
Ebenso wichtig ist es, die Lage in den Herkunftsstaaten zu verbessern. Zu lange schauen wir dem von blutigen Bürgerkriegen heimgesuchten Syrien oder Libyen tatenlos zu. Deshalb finde ich Überlegungen richtig, die in Richtung einer europäischen Verteidigungs- und Sicherheitspolitik gehen, um die Migration als Kriegsfolge an der Wurzel zu packen. In diesem Sinne sollte der IS-Terror und die Krisenherde rund um die EU von europäischer Seite noch entschiedener als bisher angegangen werden.
Gesicherte Aufnahmezentren
Zur Eindämmung des Problems sind zudem gesicherte Aufnahmezentren in den Krisenregionen selbst nötig, um Bewerber für einen aussichtsreichen Asylantrag auszuwählen und die übrigen Flüchtlinge in ihre Heimat zurückzuführen. Dies würde auch dafür sorgen, dass illegaler Migration und Schlepperbanden, die für tausende Todesopfer verantwortlich sind, das Handwerk gelegt wird.
Eines ist klar: Dass Opfer von politischer Repression, von Krieg und Gewalt unseren Schutz verdienen, steht außer Frage. Diese müssen wir bei der Integration unterstützen. Die rund 6.000 Flüchtlinge, die in Belgien im vergangenen Jahr eine positive Antwort auf ihre Asylanfrage erhalten haben, sind sehr wohl zur Integration und zur Anpassung an unsere Lebensrealitäten, an unsere Rechte und Pflichten, bereit. Dabei müssen wir sie durch eine entsprechende Integrationspolitik unterstützen. Und das muss unsere Gesellschaft verkraften können.
In den anderen Fällen – der so genannten Wirtschaftsflucht – bin ich allerdings ein Verfechter des von der EU initiierten „Blue-Card“- Prinzips, das Bedingungen für die Zuwanderung von Fachkräften vorsieht, und die Integration durch den Arbeitsmarkt ermöglicht. Wir müssen uns vor Augen halten, dass es Migration immer schon gegeben hat.
Europa wird auch in Zukunft Migration brauchen, sei es um wichtige Fachkräfte zu finden, sei es um unsere Sozialsysteme aufrecht zu erhalten. Es ist an der Zeit, damit bewusster umzugehen. Aus all diesen Gründen braucht die Flüchtlingskrise sowohl Gefühl als auch Verstand. Die Ängste der hiesigen Bevölkerung ernst zu nehmen, gehört zu einem nötigen gemeinsamen europäischen Grundkonzept. Europäische Migrationspolitik muss positiv definiert werden, und ihre Kriterien klar nachvollziehbar sein.
Ich bin froh dass es noch Politiker gibt, die sich diesem hochsensiblen Thema ebenso nähern. In einigen Jahrzehnten wird man diese Flucht- und Einwanderungswelle als nichts anderes als eine neue Völkerwanderung bezeichnen. Die EU hat an dieser Stelle bislang versagt. Sie hat keine Lösung. Das Problem wird bleiben und verschwindet nicht, indem man die Augen davor verschließt. Ein großer Teil der Migranten wird bleiben, ein Teil vielleicht zurückkehren. Es liegt an uns, aus den Bleibenden einen integrierten Teil der Gesellschaft zu machen. Der Kommentar des Europaabgeordneten Arimont macht Hoffnung, dass es Politiker mit einer Vision gibt, wie dies geschehen könnte. Danke dafür.