Eine lange Geschichte ist zu Ende. Anfang Juli wird die Deutsche Schule Antwerpen (DSA) geschlossen. Die Schule geht auf das 19. Jahrhundert zurück und zählte in ihrer Blütezeit vor dem Ersten Weltkrieg mehr als 800 Schüler. Seit 1980 ist die Schülerzahl von 123 auf heute elf zurückgegangen. Der Grund liegt im versiegenden Zustrom junger deutscher Familien nach Antwerpen.
Es ist still im weitläufigen Schulgebäude am Rande des Dorfs Stabroek nördlich von Antwerpen. Sechs Lehrer/innen und zwei Erzieherinnen unterrichten dort elf Kinder: vier in Klasse 1, zwei in Klasse 2, vier in Klasse 3 und eines in Klasse 6. Hinzu kommen vier Vorschulkinder. Im Schuljahr 2005-2006 gab es noch 21 Schüler (Foto). Finanziert wurde die Privatschule vor allem über das Schulgeld von 30.000 Euro pro Jahr und Kind, das die im Hafen niedergelassenen Chemieunternehmen Bayer, BASF und Degussa für ihre deutschen Mitarbeiter zahlten, sowie durch eine bescheidene Unterstützung der Bundesregierung, die sich nach der Schülerzahl richtete. Der Zustrom deutscher Familien nach Antwerpen ist jedoch beinahe versiegt.
Die Ursachen liegen im veränderten wirtschaftlichen Umfeld: Die Firmen schicken aus Kostengründen kaum noch Deutsche nach Antwerpen, und wer trotzdem kommt, der hat entweder noch keine Familie oder nimmt sie nicht mit, weil er schnell wieder versetzt werden kann. Als im September 2006 die Schülerzahl unter 20 sank, strich die Bundesregierung die Subventionen. Dem Schulverein blieb nichts anderes übrig, als die Auflösung der DSA zu beschließen.
Gründung im Jahr 1841
Damit fällt der Vorhang über einem wichtigen Kapitel „deutscher“ Geschichte in Antwerpen. Gegründet wurde die Schule 1841, als deutsche Kaufleute in die aufblühende Hafenstadt Antwerpen zu strömen begannen. Bis 1914 nahm die Schülerzahl kontinuierlich auf 811 zu. Die Schule befand sich an der Quellinstraat im Stadtzentrum und wurde wegen ihres ausgezeichneten Rufs auch von vielen Belgiern besucht. Ende des 1. Weltkriegs wurde sie aufgelöst, 1929 neu gegründet. Die Schülerzahl stieg bis 1941 abermals auf 250. Ende des 2. Weltkriegs und damit der zweiten deutschen Besatzung Belgiens folgte abermals das Aus.
1969 erlebte die Schule unerwartet eine Wiederauferstehung. In Antwerpen hatten sich, verlockt durch die Anbindung an einen großen Hafen, deutsche Chemiekonzerne niedergelassen. Sie gründeten die DSA, um deutschen Mitarbeitern den Weg nach Antwerpen und später die Rückkehr nach Deutschland zu erleichtern. 1980 gab es 123 Schüler in Stabroek. Damit war der Zenit erreicht. Die Aufbauphase der Unternehmen war abgeschlossen, die deutschen Mitarbeiter wurden sukzessive durch Belgier ersetzt. Die „deutsche Kolonie“ schrumpfte. Ab 1989 gab es an der DSA statt zwölf nur noch sechs Klassenstufen; ältere Schüler fuhren zur Europaschule nach Mol oder zur Deutschen Schule Brüssel. Seit September 2006 gibt es nur noch drei Klassenstufen, abgesehen von der Schülerin in der Gymnasialklasse, für die umständehalber eine Ausnahme gemacht wurde.
Kein Mangel an gutem Willen
„Der Schulträger hat sich auf bewundernswerte Weise für den Erhalt der Schule eingesetzt“, meint Ilka Westphal, die letzte Schulleiterin. „Das Problem ist nicht der gute Wille, sondern der Mangel an Schülern. Es wäre garantiert weitergegangen, wenn wir mehr als 20 Schüler gehabt hätten.“ Die Lehrerinnen und Erzieherinnen, allesamt Ortskräfte, gehen zunächst der Arbeitslosigkeit entgegen. Dennoch sehen sie ein, dass der Erhalt der DSA keinen Sinn mehr gehabt hätte. Selbst das hohe Schulgeld und die Spenden großzügiger Mäzene reichten kaum mehr für die Gehälter, geschweige denn für den Unterhalt der Gebäude.
„Auch für die Kinder ist es problematisch, dass sie so wenig Mitschüler haben“, ergänzt Martina Vercauteren, Lehrerin der sechsten Klasse und mithin einer einzigen Schülerin. „Es kann an unserer Schule keine Gruppendynamik mehr entstehen. Die Auswahl an Freunden ist winzig geworden. Und schwierige Kinder können einen enormen Druck auf die Gruppe ausüben. In größeren Klassen verteilt sich dieser Druck.“ In den Sommerferien kehren abermals einige Familien nach Deutschland zurück. Die anderen Kinder gehen ab Herbst zu flämischen Schulen oder zur Antwerp International School im nahe gelegenen Ekeren.
Ein letztes Mal feiern
Es ist ein Ende ohne Groll. Am 7. Juli findet das letzte Sommerfest statt. „Das Verhältnis zwischen Schülern, Eltern und Lehrern war an der DSA immer sehr eng und sehr vertrauensvoll“, meint Schulleiterin Ilka Westphal. „Auch deshalb wollen wir noch einmal zusammen feiern.“ Das Schulgebäude wird verkauft; eine belgische Zirkusschule hat Interesse gezeigt. Ilka Westphal blickt durchs große Fenster auf die weite, grüne Polderlandschaft: „Das wär doch was für unsere Schule, nicht wahr?“
Info:
Deutsche Schule Antwerpen, Waterstraat 39, 2940 Stabroek, Tel. 03-664 39 21, E-mail: deutscheschule.antwerpen@belgacom.net. Jeder ist zum Sommer-Abschieds-Fest am 7. Juli (15 bis 21.30 Uhr) eingeladen.
Von Marion Schmitz-Reiners
Zur Historie noch eine kleine Anekdote:
Interessant wäre noch zu erwähnen, dass die Schule während der Sommerferien (muss so etwa im Jahr 1978 gewesen sein) komplett abbrannte. War natürlich ein Traum für uns Schüler. Ich hatte meine Jacke in der Schule vor den Sommerferien vergessen und sah nach dem Brand die verkohlten Reste an einem Haken hängen. Während der Wiederaufbauphase erhielten wir Unterricht in einem alten Herrenhaus / Schlösschen mitten in einem Wald. War schon etwas besonderes.
Viel Spass bei der Abschlussfeier & beste wensen in richting Antwerpen!
Nico Krahn (Schüler Grundschule, Jahrgang 1968)