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Vom schweren Stand des Deutschen

13.05.2013Deutsch ist eine der drei Amtssprachen Belgiens. Jeder fünfte Einwohner der Europäischen Union spricht Deutsch als Muttersprache. Dennoch gehen die Deutschkenntnisse in Belgien und Europa rapide zurück. Mit diesem Thema beschäftigte sich am 6. Mai eine Podiumsdiskussion an der Universität Antwerpen.

Das „Deutschcafé“ der Universität Antwerpen und der Belgische Germanisten- und Deutschlehrerverband (BGDV) hatten geladen. Und alle kamen. Die Stühle reichten nicht aus für das knapp hundertköpfige Publikum. Gefesselt lauschte es der Diskussion von sieben Experten für deutsche Sprache – Germanistikdozenten, ein Wirtschaftsvertreter, ein Sprachwissenschaftler und ein Vertreter des Brüsseler Goethe-Instituts. Das Thema: die gegenwärtige Situation und die Zukunft des Deutschen in Belgien und Europa.

90 Millionen Deutschsprachige

Für jeden fünften EU-Bürger, insgesamt 90 Millionen Menschen, ist Deutsch die Muttersprache. In sechs von 27 EU-Ländern sei Deutsch alleinige oder eine der Amtssprachen, erklärte Jan Kruse, Sprachwissenschaftler an der Universität Duisburg-Essen, in einer einleitenden Bestandsaufnahme. Auf dem Papier seien alle 27 Amtssprachen gleichberechtigt. Die Praxis aber sieht anders aus.

Schon heute würden, so Kruse, beispielsweise deutsch-französische Städtepartnerschaften größtenteils auf Englisch gepflegt. 113 von 140 Pressekonferenzen der Europäischen Kommission wurden im vergangenen Jahr auf Englisch abgehalten, obwohl 13 Kommissare Deutsch als Mutter- oder Zweitsprache sprechen. Und immer weniger Menschen in der Union lernten noch Deutsch als Fremdsprache. 2000 waren es 8,4 Millionen, vergangenes Jahr schon anderthalb Millionen weniger. „Nach allem, was wir beobachtet haben, ist der Status des Deutschen rückläufig.“

Die „seltsame Situation“ von Belgien

Auch in Belgien, ausgerechnet eines der Länder, zu dessen Sprachen Deutsch gehört, hat das Deutsche einen schweren Stand. Schon 1970 wurde Deutsch auch in Flandern ein Wahlfach – neben Spanisch, Italienisch und Russisch. Im französischen Landesteil lernen nur noch zwei bis drei Prozent aller Schüler Deutsch, im flämischen 18 bis 19 Prozent. Die Tendenz ist seit Jahren sinkend. Um 1980 vertiefte sich noch jeder dritte französischsprachige Schüler in die Sprache Goethes.

Belgien ist in eine, so Uwe Mohr, Leiter der Spracharbeit des Brüsseler Goethe-Instituts, „seltsame Situation“ gerutscht: In der Wallonie fände sich der geringste, in Flandern der höchste Anteil an Deutschlernenden der gesamten Union. Allerdings gibt es regionale Unterschiede: In Lüttich, das enge Wirtschaftsbeziehungen zu Deutschland pflegt, ist der Anteil der Deutschschüler höher. Was jedoch den Rückschluss zulässt, dass in der übrigen Wallonie praktisch kein Deutsch mehr gelernt wird.

Spanisch ist halt „sexy“

Die mangelnde Nachfrage nach Deutschlehrern hat dazu geführt, dass es im ganzen Land nur noch fünfhundert Germanistikstudenten gibt. Und Tom Smits, Dozent an der Universität Antwerpen, berichtet, dass nur die Hälfte seiner Betriebswirtschaftsstudenten Deutsch lernt. Die andere lernt Spanisch: „Ich frage mich immer, ob die sich auf einen Urlaub oder auf eine Karriere vorbereiten…“ Spanisch sei halt „sexy“. Gegen das „Sonne-und-Sangria-Image“ des Spanischen, so der deutschsprachige Belgier Achim Küpper, Germanist an der Uni Lüttich und BGDV-Präsident, wirke das Deutsche einfach nur blass.

Dabei sind Deutschkenntnisse von entscheidender Bedeutung, wenn man in der Wirtschaft punkten will. Auf einer niedrigen und mittleren Verhandlungsebene komme man mit Englisch aus, meinte Dr. Jürgen Barwich, einer der Leiter von BASF Antwerpen und Vertreter des weltgrößten Chemiekonzerns. Auf der höheren ist Deutsch unerlässlich. „Bei Entscheidungsfindungen geht es um Nuancen. Wer die Sprache spricht, hat das Sagen.“ Allerdings ist auch bei BASF das Englische die verbindende Sprache. „Unsere flämischen Schichtführer kommunizieren auf Englisch mit ihren spanischen Kollegen.“

Angelsächsische Kultur

Aber was sind die Gründe für den Vormarsch des Englischen? Das, so wurde betont, wegen der großen Bedeutungsvielfalt der einzelnen Vokabeln nicht wesentlich leichter zu erlernen ist als das Deutsche, wenn man es denn richtig sprechen will?

„Die Kultur, die unseren Kindern vermittelt wird, ist eine angelsächsische“, meint Grazia Berger von der Université Saint-Louis (Brüssel). Englisch sei nicht zuletzt in kleineren Ländern die Sprache der Medien. Vor allem die Niederlande und die skandinavischen Länder haben sich in der Vergangenheit bereitwillig aufs englischsprachige Pferd geschwungen.

Das Deutsche hat ein Imageproblem“

Aber die deutsche Sprache hat auch ein Imageproblem. „Von Deutschland haben französische Schüler nach einer jüngeren Studie nur im Geschichtsunterricht gehört“, so Françoise Gallez von der Übersetzerschule Institut Marie Haps in Brüssel. „Mit allen Folgen“.

Widerspruch aus dem Publikum: „Die jüngere Generation koppelt Deutschland nicht mehr an den Zweiten Weltkrieg.“ Das bestätigt Achim Küpper. Vor allem Berlin habe bei der belgischen Jugend einen unnachahmlichen Ruf, den er mit den Worten zusammenfasst: „Dort gibt es tolle Kneipen und man darf alles.“

Attraktives Land, attraktive Sprache

Beim Image muss man ansetzen, darin ist das Podium sich einig. Man kann eine Sprache nur attraktiv machen, wenn auch das Land, in dem sie gesprochen wird, attraktiv ist. Das trifft nicht nur für die Jugend zu. Jürgen Barwich weist auf das hohe technische und wissenschaftliche Niveau Deutschlands hin: „Wer sich beispielsweise für Umwelttechnik interessiert, der fühlt sich dort wohl.“

Wie wichtig das Deutsche für eine Karriere in der Wirtschaft ist, fasst Achim Küpper zusammen: „Wer einmal den Fehler gemacht hat, sich bei einer Zeitarbeitsfirma zu melden und anzugeben, dass er Deutsch kann, der muss damit rechnen, dass er noch jahrelang angerufen wird…“ Zustimmendes Gelächter im Saal.

Das leuchtende Beispiel der Katalanen…

Dennoch wird im Publikum eine ketzerische Frage gestellt: „Was spricht eigentlich dagegen, dass Englisch die verbindende Sprache Europas wird? Das würde die innereuropäische Kommunikation doch entscheidend vereinfachen?“ Uwe Mohr hat eine überzeugende Antwort parat: „Englisch ist keine Sprache mehr, sondern ein ‚Tool’. Englisch können alle, ebenso wie Autofahren. Aber wir müssen uns die Frage stellen, was danach kommt. Man kann nicht sagen, nun lassen wir Deutsch einfach fallen.“

Aber Schulen und politische Willenserklärungen allein werden das Blatt nicht wenden können. Es ist auch eine Frage des Selbstvertrauens der europäischen Völker. Uwe Mohr schließt mit einem verblüffenden Statement: „Die Katalanen und die Galizier beispielsweise treten in Bezug auf ihre Sprache viel vehementer auf als ausgerechnet die Deutschen.“ Das „Zur Nachahmung empfohlen“ spricht er nicht aus.

Das „Deutschcafé“ der Universität Antwerpen organisiert Treffen für Deutschinteressierte und Deutschsprachige.

Info: www.ua.ac.be/deutschcafe.

Info über den BGDV: www.bgdv.be.

Autor: Marion Schmitz-Reiners

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