Wer immer die Deutsche Schule in Brüssel leitet, verwaltet ein besonders schwieriges Amt. Eingebunden zwischen einer international geprägten Schülerschaft, anspruchsvollen Eltern und Lehrkräften in unterschiedlichen Beschäftigungsverhältnissen muss der Leiter als Pädagoge und wie ein Unternehmer wirken können. Wie hat Jürgen Langlet diese Aufgabe bisher gemeistert? Ein Interview.
Belgieninfo:
Herr Langlet, nun sind Sie schon seit über einem Jahr als Schulleiter der Internationalen Deutschen Schule in Brüssel im Amt. Wie fällt Ihre Bilanz aus?
Jürgen Langlet:
Sehr positiv! Auch wenn meine Arbeitsbelastung so hoch war wie noch nie, bin ich persönlich sehr zufrieden mit den erreichten Ergebnissen. Die Schule hat sich nach den Ereignissen des vorvergangenen Jahres konsolidiert und engagiert auf den Weg zu einer echten Ganztagsschule gemacht. Natürlich muss der Ganztagsunterricht noch weiter überdacht und verbessert werden. Hierzu gehören unter anderem eine veränderte Einstellung zu Themen wie Hausaufgaben, Tests oder Notenvergaben – eine Konzentration auf den Kern eines jeden Faches ist notwendig.
Recht mühevoll erscheint mir immer noch die Neustrukturierung der Verwaltung. Ich möchte hier noch mehr Servicekultur etablieren und teils zu komplizierte und zu teure Abläufe transparenter und effizienter gestalten. Zusammen mit dem Verwaltungsrat der iDSB erarbeite ich gerade ein zukunftsfähiges Konzept für unsere Schule auch im Hinblick auf den Schulneubau 2018.
Der anstehende Schulneubau 2018 ist eines Ihrer Großprojekte. Wie weit sind die Planungen gediehen?
Die iDSB muss in zweierlei Hinsicht zukunftsfähig werden: Sie muss sich den Bildungsanforderungen der Zukunft sowie den Herausforderungen des Standorts Brüssel stellen. In diesem Sinne möchte ich die Chance eines Neubauprojekts optimal nutzen. Die Bundesrepublik Deutschland hat als Eigentümerin des Schulgebäudes im August 2011 ein Neubauprojekt der iDSB bewilligt. Die internen Planungen für die konzeptionellen Grundlagen haben begonnen und entwickeln sich täglich weiter, in regelmäßig stattfindenden Roundtables werden vor allem die pädagogischen Vorstellungen konkretisiert. Wir ziehen derzeit einen Schulneubau am alten Standort vor.
Ein Architektenwettbewerb
Der nächste Schritt ist daher eine Machbarkeitsstudie für einen Neubau auf dem gegenwärtigen Schulgelände, die zu Beginn des Schuljahres vorliegen sollte. Vor Baubeginn muss ein Architektenwettbewerb ausgeschrieben werden, das ist das notwendige Prozedere. Expertisen für energieeffizientes Bauen – was mir besonders am Herzen liegt – werden gerade eingeholt.
Mit dem iDSB-Herbstforum 2011 zu Beginn Ihrer Amtszeit und dem nachfolgenden iDSB-Frühjahrsforum 2012 haben Sie eine Möglichkeit geschaffen, die gesamte Schulgemeinschaft an der Umgestaltung der Schule mitarbeiten zu lassen. Inwiefern werden diese Partizipationsmöglichkeiten von den Mitgliedern der Schulgemeinschaft genutzt?
Großes ehrenamtliches Engagement
Diese Möglichkeiten der Mitgestaltung werden rege genutzt. Wir haben in unserer Schulgemeinschaft und in unseren Gremien sehr viele kompetente Menschen, die mit großem ehrenamtlichen Engagement die Sache der Schule für sich, für ihre Kinder und für alle nachfolgenden Schülergenerationen als wichtig ansehen. Ich bin sehr dankbar für diese vertrauensvolle Zusammenarbeit, die ich als sehr gewinnbringend empfinde, obwohl sie natürlich viel Zeit kostet. Schließlich sind komplexe Prozesse manchmal schwierig zu steuern.
Auf den von Ihnen angesprochenen Foren haben viele Mitglieder der Schulgemeinschaft von Schülerinnen und Schülern über Verwaltungsratsmitglieder bis zum Lehrerkollegium ihre Freizeit geopfert und gemeinsam an Konzepten gearbeitet, die die Zukunftsfähigkeit der iDSB sichern sollen und im operativen Geschäft der Schule auch konkret umsetzbar sind. Die vielen interessanten Ergebnisse, die wir aus diesen Diskussionsforen zusammentragen konnten, werden ganz sicher in unsere Überlegungen für eine neue Schule 2018 eingehen.
Welche Neuerungen haben Sie im pädagogischen Bereich auf den Weg gebracht?
Mehrsprachigkeit ausgebaut
Im pädagogischen Bereich habe ich im Schuljahr 2012/13 die Mehrsprachigkeit weiter ausgebaut. Unsere bilinguale Vorschule arbeitet mit je einer deutschsprachigen und einer englisch- oder französischsprachigen Erzieherin bilingual und die Ergebnisse, aber auch die Zufriedenheit der Eltern sind sehr gut. In der Grund- und Oberschule habe ich den Fremdsprachenunterricht verstärkt. So wurden in der Oberschule für die Fremdsprachen Englisch und Französisch Niveaugruppen etabliert und eine zusätzliche Übungsstunde eingeführt. Unser bisheriges Sprachangebot haben wir um Spanisch erweitert. Über unseren bereits bestehenden bilingualen Unterricht im Fach Geschichte hinaus habe ich in Klasse 8 nun auch Biologie als bilinguales Sachfach eingeführt.
Besonders wichtig war mir insgesamt eine Stärkung der Kernfächer, nämlich des Fachunterrichts insbesondere in den Hauptfächern. Vor allem in der Sekundarstufe I ist es wichtig, die Grundlagen in den Kernfächern für eine erfolgreiche Arbeit in der Oberstufe zu legen. Zudem führen wir ab diesem Schuljahr eine jahrgangsübergreifende Realschulklasse, um die Schüler besser zu fördern und sie passgenau auf ihre Abschlussprüfungen vorzubereiten. Wir haben auch unser Fachoberschulprofil noch weiter geschärft, denn wir halten diese Schulform mit ihrer dualen Ausbildung und dem Fachabitur für eine gute Alternative zum herkömmlichen Abitur.
Alleinstellungsmerkmal in Belgien
In Belgien haben wir mit dieser Schulform übrigens ein Alleinstellungsmerkmal und das feiern wir auch gerne: am 08. März 2013 begehen wir in einem Festakt das zehnjährige Bestehen unserer FOS.
Als Chemie- und Biologielehrer favorisieren Sie den anwendungsorientierten Unterricht in den Naturwissenschaften. Als Präsident des MNU (Deutscher Verein zu Förderung des mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterrichts) setzen Sie sich auch über ihre Schule hinaus für eine Stärkung der Naturwissenschaften und der Mathematik ein. Welche Ideen konnten Sie bisher zur Stärkung der Naturwissenschaften und der Mathematik an der iDSB konkret umsetzen? Welche weiteren Maßnahmen planen Sie in Zukunft?
In diesem Schuljahr haben wir unser Mathematikprofil durch eine fünfte Mathematikstunde und ein Schülerpatensystem weiter ausgebaut. Für die kommenden Jahre planen wir eine naturwissenschaftliche Profilbildung in der Oberstufe sowie eine Förderung des handlungs- und projektorientierten naturwissenschaftlichen Unterrichts.
Ich hoffe, dass der Neubau es uns erlaubt, angemessene Räumlichkeiten für die naturwissenschaftliche Laborpraxis bieten zu können. Zudem wären Kooperationen mit den Universitäten denkbar. Die Stärkung der Naturwissenschaften ist vor allem in der Sekundarstufe II wichtig, da dann die kognitive Entwicklung so weit fortgeschritten ist, dass der Unterricht nachhaltig sein kann.
Pilotprojekt Biologie
Als Pilotprojekt wurde in diesem Schuljahr wie schon erwähnt der bilinguale Unterricht im Fach Biologie eingeführt. Hierdurch wird zum einen die Internationalität der iDSB betont, allerdings sehe ich im bilingualen Biologieunterricht in der Mittelstufe weitere Vorteile: Die unterrichtenden Kollegen müssen sich sehr stark auf den Kern ihres Unterrichts besinnen, sich sehr genau überlegen, auf welche Begriffe und welchen Stoff man sich im Unterricht beschränkt, was einen Anlass bietet, den Unterricht in Richtung Kompetenzorientierung weiterzuentwickeln.
Sie nennen das Stichwort „Kompetenzorientierung“. Sie beschäftigen sich auch wissenschaftlich und methodisch mit dem „Lehren und Lernen” und haben im vergangenen Jahr beginnend mit dem Neurobiologen Gerhard Roth und dem Fachmann für kompetenzorientierten naturwissenschaftlichen Unterricht, Prof. Josef Leisen, eine Reihe mit Fachvorträgen zum Thema „kompetenzorientertes Lernen“ an der iDSB gestartet. Wie lernen junge Menschen heute erfolgreich? Was bedeutet das für die Lehre?
“Weniger ist mehr”
Ich sage beim Lernen im schulischen Kontext immer: „Weniger ist mehr“. Unterricht muss Wissen und Fähigkeiten so vermitteln, dass die Inhalte nachhaltig beim Schüler hängen bleiben. Das schulische Lehren und Lernen muss neu strukturiert werden. Hierzu gehören eine bessere Rhythmisierung des Ganztagsschulbetriebs, eine sinnvolle Methodik, nachhaltiges Lernen. Wir müssen weg von den reinen Inhalten hin zur Kompetenzvermittlung. Jeder Kollege muss sich bei der Unterrichtskonzeption fragen: „Warum ist dieser spezifische Inhalt im Hinblick auf den Aufbau grundlegender Kompetenzen relevant?“
Das heißt natürlich nicht, dass man keine Inhalte mehr beherrschen muss, ganz im Gegenteil, aber ein Denken vom Schüler aus ist notwendig. Wichtig ist, den Schülern Anleitung zum selbst gesteuerten Lernen zu geben, sie für ihr eigenes Lernen in die Verantwortung zu nehmen. Das Umdenken vom Lehren von Inhalten zur Kompetenzorientierung ist schwierig. Daher müssen unsere Lehrpläne daraufhin überarbeitet werden.
Inwiefern weichen die Tätigkeiten eines Schulleiters an einer deutschen Auslandsschule von denen eines Inlandschulleiters ab?
Verpflichtungen im Ausland
Das ist vor allem im Hinblick auf die Termindichte ein Unterschied wie Tag und Nacht. Ich habe hier vielfältige Verpflichtungen, die ein Inlandsschulleiter nicht hat. Es gibt unter anderem viel mehr schulische Gremien als im Inland, die meine Anwesenheit erfordern. Ich mache mehr Lobbyarbeit und habe Verpflichtungen unserem Gastland gegenüber.
In meinem ersten Jahr habe ich unter anderem versucht, möglichste viele Partner aus der deutschen Wirtschaft kennen zu lernen, denn sie brauchen gut ausgebildete junge Menschen und ich muss wissen, was die jungen Menschen für ihre späteren Berufsfelder mitbringen sollten. Ich wollte die Bildungsinstitutionen und Bildungspolitiker in Brüssel und in der Deutschsprachigen Gemeinschaft kennen lernen, um Synergien in unseren Bildungsangeboten herstellen zu können. Ich habe mich mit den politischen Institutionen in Brüssel vertraut gemacht, um starke Partner für die künftige Position unserer deutschen Auslandsschule am EU-Standort Brüssel an meiner Seite zu haben.
Ich habe hier in Brüssel als Schulleiter außerdem die Aufgabe, deutsche Kultur zu vermitteln und den Kontakt zum Gastland zu pflegen. Daher möchte ich die Schule perspektivisch gerne noch weiter für Kooperationen öffnen und als kulturelles Zentrum mit interessanten Veranstaltungen weiter ausbauen.
Haben Sie sich persönlich gut in Belgien eingelebt?
Anfangs habe ich das Schulgebäude immer sehr spät verlassen, denn es gab ja genug zu tun. Eine Einarbeitungszeit erfordert sehr viel Kraft. Daher hatte ich noch nicht genug Zeit, Belgien intensiv zu erkunden. Allerdings habe ich schon einige belgische Städte wie Antwerpen, Brügge oder Leuven gesehen, die mich alle begeistert haben. Toll wäre, wenn ich öfter ans Meer fahren könnte, aber dazu fehlt mir leider die Zeit. Ich nehme mir aber für 2013 fest vor, noch viel mehr Belgien zu entdecken, denn das Land äußerst vielfältig. Vielleicht hat Belgieninfo einen Tipp für mich?
Herr Langlet, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Autoren und Fotos: Christine Kopp-Sommerlad und Tanya Wittal-Düerkop
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