Von Heide Newson und Rudolf Wagner.
Der 29. Juni 2018 war sein letzter Arbeitstag. Die Abschiedsessen sind – gegessen, alle Hände in der Deutschen Botschaft zum letztenmal gedrückt, der Schreibtisch ist leer und Botschafter Rüdiger Lüdeking nicht mehr zu sehen. Jetzt ist er Pensionär und kann sich der Familie widmen, radfahren oder lesen. Er weiß, wer ihm im Amt nachfolgt. Wir werden es erst erfahren, wenn das Königshaus den neuen Namen gebilligt hat. Ein Rückblick auf die Jahre, Monate und Tage seit dem 27. Juli 2015, als Lüdeking seine Tätigkeit in Belgien aufnahm.
(Belgieninfo) Vor drei Jahren begannen Sie in Brüssel Ihre Arbeit als deutscher Botschafter im Königreich Belgien. Was waren Ihre ersten Eindrücke?
(Lüdeking) Mein erster Eindruck: Belgien ist ein interessantes, vielfältiges Land. Es ist aber in Deutschland – und da schließe ich mich ein – viel zu wenig bekannt. Schön wäre es, wenn die bestehenden Beziehungen noch weiter vertieft würden. Zu Beginn meiner Amtszeit ist mir bei den vielen Veranstaltungen zur Erinnerung an den Ersten und Zweiten Weltkrieg deutlich geworden, wir sehr uns die Erfahrungen aus der Geschichte verbinden. Mich hat sehr beeindruckt, dass Belgien eines der ersten Länder war, das Deutschland nach dem Krieg die Hand zur Versöhnung gereicht hat. Wo immer ich hinkam, wurde ich mit großer Herzlichkeit und Aufgeschlossenheit empfangen.
Sie gelten als Sicherheitsexperte, und waren zuletzt bei der OSZE in Wien tätig. Als offizieller Vertreter der Bundesregierung haben Sie Deutschland u.a. bei großen Abrüstungskonferenzen vertreten. Bei solchen Top-Jobs ist es schwer vorstellbar, dass Ihre Versetzung nach Belgien Ihr Traumjob oder eine große Herausforderung waren.
Ich habe mich auf die Tätigkeit in Belgien gefreut. Vorher war ich unzählige Male dienstlich in Brüssel, und habe Belgien dennoch leider überhaupt nicht kennengelernt. Dazu hatte ich jetzt die Möglichkeit.
Gerade in der jetzigen Situation, wo es darum geht, Europa voranzutreiben, und für Europas Bürger eine gute Zukunft zu gestalten, werden der Kontakt und die Zusammenarbeit mit Belgien noch bedeutsamer sein als in der Vergangenheit. Belgien ist ein Land, das mit uns hinsichtlich der europäischen Integration und Zukunft Europas zentrale Überzeugungen teilt. Es war stets unsere Politik, dass die Debatte, die wir in den nächsten Jahren über die Zukunft Europas führen werden, nicht auf eine zwischen Paris und Berlin reduziert werden darf. Bei der Schaffung eines Neuanfangs für Europa, wird Belgien eine ganz wichtige Rolle zu spielen haben. Und ich glaube, dass Belgien ein Interesse hat, bei diesen Debatten, die in der aktuellen Situation nicht leicht sein werden, dabei zu sein.
Die Ironie oder die Tragik der Geschichte ist, dass in einer Zeit, in der es mehr denn je darauf ankommt, dass Europa einig handelt, um künftige Herausforderungen zu bestehen, es viele Differenzen zwischen den EU-Mitgliedstaaten gibt, die aus dem Weg geräumt werden müssen.
Wichtig ist wohl ebenso, Unstimmigkeiten, die zwischen Deutschland und Belgien wegen der Sicherheit der Kernkraftwerke Tihange und Doel bestehen, aus dem Weg zu räumen. Die Belgier machen sich dabei keine großen Sorgen, sondern eher wegen ihrer Stromversorgung, die Deutschen umso mehr. Sind die deutschen Sorgen berechtigt oder übertrieben?
Als ich im Herbst 2015 offiziell in Brüssel meinen Dienst antrat, überraschte es mich, dass es trotz der Debatten, die in Deutschland zu Doel 3 sowie Tihange 2 geführt wurden, keine regulären Konsultationen zur nuklearen Sicherheit gab. Das ist dankenswerterweise seit dem Treffen am 1. Februar 2016 zwischen der damaligen Bundesumweltministerin Barbara Hendricks und dem belgischen Innenminister Jan Jambon, der für nukleare Sicherheit zuständig ist, anders. Seitdem haben wir einen engen und vertrauensvollen Dialog zwischen den für nukleare Sicherheit zuständigen Experten beider Länder. Im Dezember 2016 haben beide Länder diese Zusammenarbeit sogar formalisiert und eine gemeinsame Kommission zur nuklearen Sicherheit geschaffen.
Auf Expertenebene haben wir seitdem gute und vertrauensvolle Gespräche zu Fragen der nuklearen Sicherheit geführt. Deutschland setzt unverändert darauf, dass Belgien die bestehenden Sorgen ernst nimmt und sie ausgeräumt werden – am besten durch eine rasche Abschaltung der beiden Reaktorblöcke. Zudem gehen wir weiterhin davon aus, dass die beiden Reaktoren im Zuge des Ausstiegs Belgiens aus der Kernenergie im Jahr 2022/23 abgeschaltet werden.
Lüdeking ist immer noch der Diplomat, der mögliche Gesprächspartner seines/r Nachfolgers/in nicht verprellen möchte. In der Atompolitik hat es zwischen Deutschland und Belgien sogar heftig gekracht; aber das sagt er nicht. Hat er einen besonders beeindruckenden belgischen Politiker kennengelernt? Auch hier keine Antwort zum Mitschreiben. Vielleicht steckt in der nächsten Antwort eine Erklärung.
Können die Deutschen etwas von den Belgiern, von ihrer lässigen, unkomplizierten Art lernen?
Ich glaube, dass wir voneinander lernen können, etwa bei der inneren Sicherheit. Ich fand es hochinteressant, wie beispielsweise Bart Somers, der Bürgermeister von Mechelen, mit diesem Thema umgeht. Er vertritt eine Politik, die einerseits auf Integration setzt, und andererseits aber klar auf null Toleranz, wenn es um die Verfolgung von kriminellen Aktivitäten von Migranten und Flüchtlingen geht. Beide Länder haben ihre eigenen Erfahrungen in Sachen innere Sicherheit, und da ist es gut, voneinander zu lernen. Diesen Prozess des gegenseitigen Austauschs zu fördern, hat mir während meiner Tätigkeit hier in Belgien sehr am Herzen gelegen.
Wenn Sie an Ihre Zeit hier zurückdenken, welche Ereignisse, Erlebnisse, oder Eindrücke werden Ihnen besonders in Erinnerung bleiben? Gibt es enttäuschende Momente?
Belgiens historische Erinnerungen kreisen weit weniger um den 2., als um den 1. Weltkrieg.
In besonderer Erinnerung werden mir die Gedenkfeiern zum 100. Jahrestag des Ersten Weltkriegs bleiben. Im letzten Jahr habe ich versucht zu erläutern, warum wir in unserer Erinnerungskultur zurückhaltender sind als andere Staaten. Wir sind uns des Leidens bewusst, das Deutschland während der beiden Weltkriege über seine europäischen Nachbarn gebracht hat. Daraus ergibt sich eine Verantwortung, der wir bis heute gerecht werden müssen. Ich bin relativ früh nach meiner Amtsübernahme nach Dinant gereist. Dort ist die Erinnerung an die deutschen Kriegsverbrechen, die in der Stadt gleich zu Beginn des Ersten Weltkriegs begangen wurden, noch sehr wach. Dennoch hat mich beeindruckt, wie aufgeschlossen und freundschaftlich man mich in Diant empfangen hat.
Wie ist das Verhältnis zur Deutschsprachigen Gemeinschaft?
Die Deutschsprachige Gemeinschaft verfügt über exzellente Kontakte, nicht nur zur Brüsseler Föderalregierung, sondern auch nach Deutschland, nach Berlin und in deutsche Bundesländer wie Nordrhein- Westfalen oder Rheinland-Pfalz. Mit großer Bewunderung stelle ich fest, was die kleine Gebietskörperschaft mit knapp 77.000 Seelen so alles geschafft hat. Dazu kann ich nur sagen „Hut ab“. Dank ihrer guten Vernetzung läuft auch im grenzüberschreitenden Verkehr alles reibungslos. Zuletzt war ich beim Antrittsbesuch von Ministerpräsident Armin Laschet in Eupen dabei. Die Gespräche zwischen Ministerpräsident Paasch und Ministerpräsident Laschet waren sehr konkret und verliefen in ausgezeichneter Atmosphäre. Es ging beispielsweise um die Gewährleistung einer grenzüberschreitenden medizinischen Notfallversorgung, die Bereitstellung von Medizinstudienplätzen in Deutschland für Abiturienten aus der Deutschsprachigen Gemeinschaft oder die Inanspruchnahme von deutschen Fachärzten durch ihre Bewohner.
Wer auch immer Lüdeking nachfolgt, wird sein Beglaubigungsschreiben an den König nach belgischer Vorschrift in niederländischer, französischer oder englischer Sprache vorlegen. Deutsch ist nicht vorgeschrieben, ist aber belgische Amtssprache.
Links im Bild: Heide Newson, Botschafter Lüdeking, Rudolf Wagner
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