Dass „Bruxellisation“ zum Inbegriff brutalen Drauflosbauens wurde, kommt nicht von ungefähr. Erst seit 1962, viel später als in anderen europäischen Staaten, existiert hier so etwas wie Raumplanung. Jetzt hat die Brüsseler Regierung erstmals sogar ein „schéma directeur“ für das Europaviertel angenommen.
Ende Mai hatten Jan Smeele, der Präsident der CDA Belgien-Luxemburg, EVP-Präsident Wilfried Martens und die Brüsseler Staatssekretärin Brigitte Grouwels ins Büro der EVP in der Handelsstraat 10 eingeladen, um die möglichen Vorhaben bis 2020 zu präsentieren.
Ob Kommissionsmitarbeiter oder Immobilienbesitzer, Journalisten oder Gewerkschafter – ein national bunt gemischtes Publikum war ins EVP-Haus gekommen, um zu erfahren, wie das Europaviertel 2020 aussehen soll. Ministerpräsident Charles Picqué hatte kürzlich davon gesprochen, es solle Brüssels Schaufenster als internationale Stadt sein und gleichzeitig die Europäer in das belgische Umfeld einbeziehen.
Marie-Laure Roggemans, Delegierte der Region Brüssel Hauptstadt für die Entwicklung des Europaviertels und Programmberaterin der König Balduin-Stiftung, erklärte nun auf englisch, französisch und niederländisch, wie das Areal zwischen Jubelpark und kleinem Ring, Square Ambiorix und Place Jourdan zu einem „Öko-Viertel“ werden könnte: Funktionell und sozial gemischt, mit einer besseren Verkehrsinfrastruktur und ansprechender gestaltetem öffentlichen Raum. Keine einfache Aufgabe, denn die dem Plan zugrunde liegenden Studien gehen davon aus, dass bis 2020 die Einwohnerzahl im Europaviertel auf 39.000 steigt (2001 waren es 33.000) und auch die Zahl der Arbeitsplätze weiter zunimmt: 105.000 sollen es 2020 sein, gegenüber 84.000 im Jahr 2001.
Metro, Bahn und Tunnel
„Öko-Viertel“ bedeutet nach Roggemans vor allem Schonung der Umwelt durch qualitätsbewusstes energiesparendes Bauen und die anvisierte Senkung des Verkehrsaufkommens um 20 Prozent. So soll eine RER-Bahnverbindung von der Gare du Luxembourg nach Zaventem mit Halt am Schuman-Platz und am Platz Jamblinne de Meux Entlastung schaffen. Außerdem könnte zur Lösung der Verkehrsprobleme entweder die existierende Metrolinie zwischen Arts-Loi und Merode verstärkt und automatisiert oder eine neue Metrolinie Merode – Schuman – Gare du Luxembourg – Trône – Gare du Midi eingerichtet werden. Die Chaussée d’Etterbeek soll ein belebter Boulevard werden und mit einer neuen Tramlinie die Stadtteile Ixelles und Saint-Josse verbinden. Davon würden auch Place Jourdan, Parc Léopold und die Place Jean Rey profitieren. Außerdem ist an eine Untertunnelung der Straßenschluchten von Loi, Belliard und Kortenberg gedacht. Erwogen werden auch neue Parkregelungen.
Die Europäische Kommission, die jetzt über 170.000 Quadratmeter Bürofläche verfügt, wird wohl 400.000 Quadratmeter im Jahr 2020 brauchen. Die momentan 490.000 Quadratmeter Bürofläche im Europaviertel insgesamt sollen bis dann aufgestockt werden auf 800.000 Quadratmeter. Außerdem sollen 110.000 Quadratmeter Wohnraum neu entstehen. Insgesamt wird die wundersame Platzvermehrung im Europaviertel nur durch mehr Stockwerke möglich.
Hellhörig wurde das Publikum, als Roggemans von der Möglichkeit sprach, eine fünfte Europäische Schule im unmittelbaren Umfeld der Institutionen anzusiedeln. Wo genau, darauf wollte sich die Delegierte jedoch nicht festlegen. Schließlich sei dies eine Angelegenheit des Föderalstaates und der Zusammenarbeit zwischen Ministerpräsident Picqué und Kommissar Kallas. Um das Europaviertel urbaner zu gestalten, soll außerdem die Beleuchtung und die Gestaltung des öffentlichen Raums verbessert werden.
Aus dem Publikum kam die Anregung, einfach einmal damit anzufangen, den Spielplatz im Parc Léopold wieder herzurichten. Dies jedoch, erklärte Roggemans, sei wiederum Sache der Stadt Brüssel.
Autor: Renate Kohl-Wachter
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