Von Heide Newson.
Nur einen Steinwurf vom Grand´Place entfernt, genauer in der Rue des Bouchers 18, befindet sich das Restaurant „Chez Léon”, ein (Gastro) Tempel von Muscheln und Fritten, und das seit 125 Jahren. Grund genug für Rudy Vanlancker, über die faszinierende Familiengeschichte ein Buch zu schreiben und mehr als 50 bislang streng gehütete Rezepte preiszugeben. Unter dem Titel „Chez Léon, friture bruxelloise depuis 1893“, ist es im Buchhandel sowie im Restaurant ab sofort erhältlich.
Alles begann im Jahr 1888. Léon und Léonie Vanlancker öffnen eine kleine Friture in der Petite Rue des bouchers. Für 0,75 belgische Franken kann man eine Suppe und ein Fleischgericht mit Kartoffeln und Gemüse essen. Ein saftiges Steak kostet einen Franken, eine Flasche Bordeaux Wein 1,30. Was auf der Speisekarte noch fehlte, waren Fritten, die mit großem Erfolg auf der Brüsseler Kirmes und während des belgischen Nationalfeiertags angeboten wurden.
Mit dem Umzug in die Rue des Bouchers 18 halten auch die Fritten, die gleich zum Bestseller werden, ihren Einzug. Nicht nur die Stammgäste sind geradezu verrückt nach diesen knusprigen Kartoffelstäbchen, die angeblich nirgendwo so köstlich sind.
Die Belgier lieben ihre Fritten
Ob jung, alt, ob reich oder arm, die Belgier lieben ihre Fritten. Zum belgischen Nationalgericht mutierten sie, als sie dann noch mit Muscheln serviert wurden. So kommt es nicht von ungefähr, dass sich Chez Léon zum (Pommes) Treffpunkt für Männer, Frauen und Kinder aus allen sozialen Schichten entwickelte.
Unterbrochen wurde diese Erfolgsstory durch den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, und mit der Verhaftung Léons durch die Deutschen. Das Restaurant wurde geschlossen.
Im Jahr 1947 ging´s wieder bergauf. Durch die Expo im Jahr 1958, erlebte Brüssel seine internationale Blütezeit. Touristen aus allen Teilen der Welt strömten in Belgiens Hauptstadt, und kehrten bei „Chez Léon ein“. Das Restaurant wurde vergrößert, während im Jahr 1960 Sohn Paul das Regiment in der Küche übernahm. Mit Blick auf die Internationalität der Gäste wurde die Speisekarte erweitert, aber Monsieur Pauls Herz schlug weiter für Muscheln und Fritten, sein erfolgreiches Geschäftsmodell.
Schon schon längst galten Fritten nicht mehr als ein Arme-Leute Essen. Promis wie Jacques Brel, Johnny Halliday, Juliette Greco oder Toots Thielemans, gingen damals im Chez Léon ein und aus, und erklärten nicht sich, sondern die Fritten zum eigentlichen Superstar.
Zum Superstar stieg gleichwohl die niedliche Marionette „La moule chez Léon“ auf, ein originelles Geburtstagsgeschenk des berühmten Royalen Toone Theaters anläßlich des 100. Geburtstags von „Chez Léon.“
Das Familienunternehmen
Im Jahr 1977 steigt Pauls Bruder Rudy in das Familienunternehmen ein. Seine Anfangsjahre gestalten sich schwierig. Und ganz schwierig wird´s für ihn, als sein Vater Georges stirbt. Wegen Auseinandersetzungen mit seiner Mutter scheidet Paul im Jahr 1982 aus dem Familienunternehmen aus. Rudy bleibt, aber der Fiskus sitzt ihm im Nacken.
“Ich war 23 Jahre alt, als mein geliebter Vater starb,“ erinnert sich Rudy.” Sein Tod hat mich stark mitgenommen.” Zu dieser Trauer kam unser Familienstreit hinzu. Vor dem Tod meines Vaters war es meiner Mutter gelungen, ihren Ehevertrag zu ändern. Sie wurde sie zur alleinigen Erbin von Chez Léon erklärt, woraus mein Bruder Paul, der den Familienbetrieb mit viel Herzblut geleitet, seine Konsequenzen zog. “Kurzerhand schmiss er das Handtuch, und und so blieb ich mit meiner Mutter, mit der ich mich nie gut verstanden habe, im Restaurant zurück.“
Dabei hatte Rudy einen ganz anderen Beruf angepeilt. Seine ganze Leidenschaft gehörte der Fotografie, ihm schwebte eine Karriere als erfolgreicher Fotoreporter vor. Als er das Institut Saint-Boniface in Ixelles besuchte, kam alles anders als gedacht. Mit 14 Jahren musste ich eine Entscheidung treffen. Und ich war nun halt mal ein „Vanlancker.“ So kam es, dassDas bedeutete, dass Rudy auf die Hotelfachschule in Namur überwechselte, wo er das Kochhandwerk erlernte.
Mit großem Engagement, neuen Geschäftsideen, wie der Marke Léon, die er außerhalb Belgiens entwickelte, überwand Rudy sodann die Krise.
Die Eröffnung des Restaurant „Chez Léon in Paris, mit einem Pariser Touch versehen, war auf Anhieb ein durchschlagender Erfolg. Der Pariser Touch….“kleinere Portionen als in Brüssel,“ lacht Rudy
Und es ist Rudy, der nach 125 Jahren Chez Léon auf die Idee kam, die wechselvolle Familiengeschichte mit all ihren Ecken und Kanten mit Hilfe eines Gastronomie Autors aufzuschreiben.
“Man soll ein Haus bauen, Kinder haben und ein Buch schreiben, wenn man etwas zu sagen hat,“ meint er gegenüber Belgieninfo net..
Und der Vater von vier Kindern hat viel zu sagen. Denn aus dem anfangs geplanten Buch von 50 Seiten wurden gleich viel mrhr. „Meine Kinder sind alle großartig und arbeiten hart,“ fährt er fort. Besonders stolz ist er dabei auf seinen Sohn Kevin, der in die Fußstapfen seines Vates trat und seit einigen Jahren im Chez Léon mit Leib und Seele den Kochlöffel rührt. „Schon als kleiner Knirps verbrachte ich viele Stunden hier. Und schon damals stand für mich fest, dass ich hier eines Tages als Koch arbeiten würde. Denn Kochen ist meine Leidenschaft.” Wie viele seiner Vorfahren besuchte auch er die Hotelfachschule in Namur. “Ich liebe dieses Viertel, unsere Gäste, und natürlich unsere traditionellen Muscheln und Fritten, mit denen ja alles anfing.”
Obwohl das Restaurant über die Jahre etliche Veränderungen und Vergrößerungen erfahren hat, ist das gemütliche und traditionell warmherzige Ambiente bis heute erhalten geblieben. „Unsere Gäste sollen sich hier wie vor 125 Jahren geborgen und wohl fühlen,“ sagt Kevin, der eines Tages nicht nur die Verantwortung von Chez Léon, sondern auch für das Restaurant „Aux Armes des Bruxelles“ übernehmen wird, das unlängst von Rudy und Nadine übernommen wurde.
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