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Über Jazz, Tree-hoo … im Gespräch mit dem belgischen Jazzgitaristen Alain Pierre

Von Ferdinand Dupuis-Panther.

Ich traf mich mit dem in Brüssel beheimateten Jazzgitarristen Alain Pierre für das Interview am Rande der Jazzahead 2016 in Bremen. Alain Pierre hat seine ersten Lebensjahre in Deutschland verbracht. Nach der Übersiedlung seiner Eltern nach Belgien war er bis zu seinem 16. Lebensjahr regelmäßig bei seiner Großtante in Düren zu Besuch. Es verwundert daher nicht, dass er sehr gut Deutsch spricht, so dass wir das Interview auf Deutsch führen konnten.

Hat Musik während deiner Kindheit und Jugendzeit eine Rolle gespielt und welche Art von Musik war das?

Alain Pierre: In meiner Familie spielte man keine Musik. Als ich Kind war, gab es keinen Fernseher bei uns, aber einen Plattenspieler mit nur ein paar Platten. Ich erinnere mich, es gab eine Platte von Chet Baker, zwei Platten von Louis Armstrong, eine Platte von Manitas de Plata, eine von Frank Sinatra und des Schlagzeugers Gene Krupa. Als ich dann auch Fred Astaire entdeckt habe, hat mir das gefallen. Ich wollte nicht Tänzer werden, aber der Swingrhythmus und das Klicken der Stepptanzschuhe haben mich sehr beeindruckt. Ich wollte mal Schlagzeug spielen, weil ich die Drums-Solos von Gene Krupa gehört habe. Ja, aber meine Eltern wollten kein Schlagzeug Zuhause haben. Die haben gesagt: „Spiel doch ein echtes Instrument!“ – „Okay, und dann lerne ich danach Schlagzeug.“ – „Was willst du machen?“ Ich wusste es eigentlich nicht. „Warum lernst du dann nicht Gitarre?“ – „Oh ja, okay“.

Was war der Schlüssel dazu, Jazz faszinierend zu finden und Jazzgitarrist zu werden? Gab es Platten wie „Kind of Blue“ oder „Bitches Brew“, die dich gefesselt haben?

Alain Pierre: Nein, das nicht. Mein ältester Bruder hat mich stark an verschiedene Musik herangeführt. Er war nicht Musiker, aber … Nach Progressive Rock hat er Jazz Rock entdeckt. Ich habe die Platten von Philip Catherine, Larry Coryell oder Chick Corea „Return To Forever“ mit meinem Bruder gemeinsam gehört. Ich bin bei einem Jazz-Rock-Konzert gewesen, und danach bin ich zu Platten zurückgekehrt, die ich als Kind gehört hatte, also habe ich eine Verbindung zwischen Jazz Rock und Louis Armstrong geschaffen. Ich habe auch alle die Gitarristen wie Catherine, Coryell, Paco de Lucia und John McLaughlin eifrig gehört. Meine größte Begeisterung galt aber Ralph Towner, den ich auf ECM entdeckt habe. Er spielt immer noch mit dieser klassischen Technik, auf 6- und 12-saitigen Gitarren. Seit ich 15 oder 16 Jahre alt bin, ist Ralph Towner mein Mentor.

lara-herbinia-tree-ho1Hast du im Studium die klassischen Etüden von Sor und anderen Barockmusikern gespielt ?

Alain Pierre: Ja auch, aber was ich viel studiert habe, war die Musik von Johann Sebastian Bach und Silvius Leopold Weiss. In Liège war man sehr Avantgarde und auf zeitgenössische Musik ausgerichtet. Ich habe viel zeitgenössische Musik für Gitarre studiert. In der Zeit war Henri Pousseur der Direktor des Konservatoriums. Er war ein Freund von Karlheinz Stockhausen. Ich habe in Liège auch Garrett List kennengelernt, der freie improvisierte Musik machte. Der ist ein Amerikaner. Er hat Workshops angeboten und ist in Liège geblieben. Er hat bis zur Jahrtausendwende freie Musik am Konservatorium in Liège gelehrt. Ich habe auch diese zeitgenössische Musik gemacht. Das war ja sehr nahe am Jazz, des freien Jazz, und der Musik, die man auf ECM finden kann. Ralph Towner und Keith Jarrett, Jan Garbarek, Jon Christensen, Eberhard Weber, auch natürlich Pat Metheny, haben den größten Einfluss auf mich, der Jazz der 70er Jahre.

Welche Wirkung und welchen Einfluss hat das auf deine aktuelle Musik, ob mit WRaP! oder Tree-Ho!? Das ist doch gebundene Musik  und nicht etwa eine freie?

Alain Pierre: Also, ich glaube, das sieht man an der Konstruktion meiner Stücke. Viele Musiker sagen, deine Musik ist nicht einfach. Man muss doch viel üben. Ich habe nicht viel Blues geschrieben zum Beispiel. Ich habe vielleicht zwei, drei Blues in meiner Karriere komponiert. Meine Kompositionen umfassen manchmal bis zu vier Notenblätter. Es gibt viele Konstruktionen in meinen Kompositionen. Das ist der Einfluss klassischer moderner Musik.

Welche Bedeutung hat das Great American Songbook für dich als Jazzgitarristen?

Alain Pierre: Ich habe das auch immer gespielt, und ich mache das auch heute noch. Das ist das Grundzeug. Das muss man machen. Das ist das allgemeine Vokabular. Wir müssen alle diese Standards spielen. Wenn ich einen schwedischen, kubanischen und amerikanischen Musiker treffe, was werden wir spielen? „All The Things You Are“ oder „So What“ vielleicht und nicht „My Song“ von Keith Jarrett. Die Bebop-Sprache, das ist unser Vokabular, das Jazz universal macht. Als ich in Brüssel am Konservatorium studierte, musste man das lernen, so wie man Deutsch oder Französisch in der Schule lernen muss. Man bekam eine Liste mit 20 Standards in jedem Jahr, die man auswendig lernen musste. Die Ausbildung dauerte fünf Jahre!

Ralph Towner, als er in den 1970er Jahren in New York war, lebte er im Appartement von Wayne Shorter. Die übten da mit Oregon eine Art World Music, auch wenn sie noch nicht so hieß. Towner ging abends in die Clubs und spielte am Klavier Standards – Towner ist auch Pianist –, um Geld zu verdienen. Das müssen wir alle machen. Das hat generell und weltweit einen Einfluss: Jazz und Blues sowie das American Songbook.

Dein jüngstes Album hast du mit dem Tree-Ho! eingespielt. Wie kam es zu diesem ungewöhnlichen Namen, der beim Sprechen zu Trio wird?

lara-herbinia-trio-ho3Alain Pierre: Das ist ein Wortspiel. Ich hatte zuvor eine Band namens Acous-Trees, von der es kein Album gibt. Vielleicht aber gibt es mal irgendwann wieder ein Konzert. Ich hatte viele Gruppen. Was verband sie alle? Irgendwie ein Stamm, meine Kompositionen für ein Duo, ein Trio, ein Quartett und ein Quintett. Im meinem Kopf hatte ich für diese Gruppen einen sich verästelten Baum. Ich wollte beim Bandnamen auch nicht zu intellektuell erscheinen, sondern eher lustig.

Woher nimmst du die Inspiration für Titel wie „Le Vin Noir“? Es klingt ja sehr französisch, auch nach einem Weinkenner und einem Gourmet. Was steckt hinter dem Titel? Überlegst du dir solche Titel vorher oder nach der Komposition?

Alain Pierre: Ich schreibe die Musik; ich spiele die Musik. Ich schreibe viele Stücke. Manche Stücke bleiben in der Schublade, weil es sich nicht lohnt. Wenn ich ein Stück anfange, schreibe ich das Datum und die Tonart auf. Über Titel denke ich gar nicht nach. Wenn ich das Stück fertig habe und es spiele, ja dann muss ich auch über einen Titel nachdenken. Wenn ich manchmal Titelideen habe, dann schreibe ich mir die einfach auf. Wenn ich die Komposition beendete habe, finde ich den Titel manchmal ganz einfach. Le Vin Noir ist ein Wein aus der Gegend von Cahors in Südwestfrankreich, nahe Bordeaux. Es ist ein Malbec cépage. Die Trauben sind so kräftig, dass der Wein nicht rot, sondern schwarz ist. Die Winzer der Region nennen den Wein dann „Le Vin Noir“. Ich versuche, ein bisschen Poesie für die Titel zu finden. Manchmal bezieht sich meine Musik auf Ereignisse, die für mich von Bedeutung sind, und dann habe ich auch einen Titel schnell bei der Hand.

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Das Gespräch führte Ferdinand Dupuis-Panther. Das komplette Interview findet sich bei Jazz’halo (www.jazzhalo.be) Die Fotos sind urheberrechtlich geschützt. Die Urheberrechte liegen bei © Lara Herbinia.

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